Pflegerin 17facher Mord vorgeworfen

■ In Wuppertal beginnt heute der Prozeß gegen Michaela Roeder / Sie soll Patienten zu Tode gespritzt haben

Bochum (taz) - Im März sitzt die Krankenschwester Michaela Roeder seit drei Jahren in Untersuchungshaft. Sie gilt als „vorbildliche Insassin“. Anwalt Siegmund Benecken ist voll des Lobes für seine Mandantin. Sie habe während der Haft „viel Anerkennung gefunden“, übe einen „sehr positiven Einfluß“ auf ihre Mitgefangenen aus und sei von der Anstaltsleitung mit „Vertrauensposten ausgestattet“ worden Schwester Michaela darf im Knast Essen austeilen und andere Kalfaktorendienste außerhalb ihrer Zelle wahrnehmen.

Vertrauensstellung

auf der Intensivstation

Einen Vertrauensposten, eine „absolute Sonderstellung“ (Benecken) hielt die heute 30jährige Fachkraft auch auf der Intensivstation des katholischen Petrus-Krankenhauses in Wuppertal-Barmen inne. Von einer klaren organisatorischen Führung der Station durch die Chefärztin Rita-Renate Hesslenberg konnte dort keine Rede sein: Die Chefin mischte sich wenig ein und überließ die Organisation ihrer Abteilung zum großen Teil den Pflegekräften. Dabei schenkte sie besonders der stellvertretenden Stationsschwester Michaela Roeder ihr Vertrauen. Rita-Renate Hesslenberg kannte die junge Krankenschwester schon seit deren Ausbildungszeit in der Anästhesie. Gemeinsam vollzogen sie den Wechsel auf die Intensivstation.

Die „spezielle“ Situation auf dieser Abteilung, so glauben die Roeder-Anwälte Siegmund Benecken aus Marl und Ulrich Bauschulte aus Düsseldorf, habe dazu beigetragen, daß ihre Mandantin, nun wegen 17fachen Mordes vor dem Wuppertaler Schwurgericht steht. Eine Situation, in der, wie es der Gutachter Prof.Dr.Kettler umschreibt, die hohe Zahl der „natürlichen“ Todesfälle kaum ein Zufall ist.

Schwer nachweisbare Substanz gespritzt

Immerhin blieben die Taten, die man nun Michaela Roeder vorwirft, über zwei Jahre hinweg unentdeckt. Weder die Chefin noch die anderen auf der Station tätigen Ärzte und Ärztinnen wunderten sich über die hohe Anzahl von PatientInnen, die - wenn sie auch alle schwer erkrankt waren - so doch zum jeweiligen Zeitpunkt überraschend und ohne erkennbare Ursache verstarben.

Tatsächlich war es nicht leicht, der Krankenschwester die Taten nachzuweisen. Denn bei der von ihr injizierten schwer nachweisbaren Kombinationsgabe aus dem blutdrucksenkenden Mittel „Contapresan“ (Wirkstoff: Clonidin) und Kaliumchlorid, das bei schnellen Injektion zu Herzstillstand führt, machte sie sich ihr viel gelobtes „vorbildliches Fachwissen“ zunutze. Die Krankenschwester wußte nach eigenen Aussagen genau über die spezielle Eigenschaft des Kaliumchlorids Bescheid: Diese Substanz baut sich im Blut einer jeden Toten auf, ganz egal, ob diejenige zuvor eine Extradosis gespritzt bekam oder nicht. Clonidin dagegen ist noch zwei Jahre nach dem Ableben nachweisbar. Die Ermittler wurden dann auch bei 17 von 38 exhumierten Leichen fündig.

„Hilfe gegen

entwürdigendes Sterben“

Komplizierte Analysemethoden waren allerdings nicht in allen Fällen zwingend für die Beweisführung, denn die Beschuldigte gestand, acht PatientInnen die Todesspritze gesetzt zu haben. Ein weiterer Patient sei fahrlässig getötet worden, so der Anwalt. Sie habe aus „Mitleid mit den Schwerkranken gehandelt“, gibt Rechtsanwalt Benecken die Motivation seiner Mandantin weiter, habe „helfen wollen, das entwürdigende Sterben durch die Apparatemedizin zu verkürzen“. Ihr Anwalt meint, sie sei „besessen gewesen von der Idee, das tun zu müssen“, um die Patienten vor „Ärzten zu bewahren, die nur an ihnen üben wollen“. Staatsanwalt Karl-Hermann Majorowski will solche hehren Motive nicht gelten lassen. Für ihn hat sich die Pflegekraft als „Herrin über Leben und Tod aufgeschwungen“, um sich Arbeit vom Hals zu schaffen.

Fest steht, daß sie den Tod der ihr Anvertrauten wiederholt fast auf die Minute genau „vorhergesagt“ hat. So „erlöste“ sie am 5.Februar 1986 eine 77jährige Rentnerin zum Zeitpunkt des Spielbeginns des Fußball-Länderspiels Deutschland -Italien. Schon zu Schichtbeginn um 12Uhr mittags hatte sie angekündigt, daß die Frischoperierte vor der Fernsehübertragung sterben werden.

40 ZeugInnen

vor Gericht geladen

Es war das letzte Mal, daß Michaela Roeder ihre tödliche Spritze ansetzte. Zwei Tage später führte der Verdacht, den ein Pfleger seit September aufgrund von Beobachtungen gegen sie hegt, dazu, daß die Polizei eingeschaltet wurde. Michaela Roeder durfte ihren Dienst nicht mehr antreten.

Am 14.März wurde sie verhaftet. Acht Sachverständige und 40 ZeugInnen sollen nun während des Mammutverfahrens in Wuppertal klären helfen, ob Michaela Roeder aus niederen Beweggründen gemordet, oder, wie die Anwälte meinen, aus „Mitleid“ gehandelt hat und mit „jedem mitgestorben“ ist.

Rita Schnell