Staatsanwalt in Terroristen-Datei

Baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Ruth Leuze legt Datenschutzbericht vor Unter vielen anderen auch Bundesminister und Staatsanwälte im Polizeicomputer  ■  Aus Stuttgart Dietrich Willier

Von maßlosen Überreaktionen, torpedierten Kontrollen und verweigerten Einsichtnahmen wußte die Landesbeauftragte für Datenschutz in Baden-Württemberg bei der Vorsstellung ihres Jahresberichts zu erzählen.

Ziel eines Kontrollbesuchs durch sie im vergangenen Jahr war das Landeskriminalamt (LKA). Und Frau Leuze wurde fündig. Nicht nur Volkszählungsgegner sind seit zwei Jahren im bundesweiten Informationssystem APIS, der Datei für Terroristen, Hochverräter, Agenten und Saboteure, gespeichert. Bereits Ende 1986 hatte das LKA bei einer „terrorismusverdächtigen Person“ zwei Aktenordner mit kopierten Zeitungsausschnitten beschlagnahmt. Unter dem Stichwort „andere Personen“ wurden alle namentlich dort Aufgeführten in APIS eingespeichert - 354 insgesamt. Darunter Landtagsabgeordnete, Bundesminister, Staatsanwälte, Richter, Gewerkschaftsvorsitzende, Manager, Banker, Journalisten und Professoren. Eine maßlose Überreaktion, so die Datenschutzbeauftragte. Frau Leuzes Protest hatte diesmal Folgen, die Daten sind mittlerweile gelöscht. Anders die der Volkszählungsgegner. Ein Zweiklassensystem im EDV -Zeitalter, kommentierte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Bender.

Das Landeskriminalamt und das baden-württembergische Innenministerium waren es denn auch, denen Frau Leuze den Hauptteil ihres Jahresberichts '88 widmete. Auf einem traurigen Höhepunkt sei deren Haltung gegenüber dem Datenschutz angelangt. Mit der Problematisierung des Datenschutzes, so Landespolizeipräsident Stümper, sei „die Strategie der Feinde unseres Rechtsstaats aufgegangen, diesen handlungsunfähig zu machen, indem man ihn dazu bringt, sich zunehmend mit sich selbst zu beschäftigen“. Kontrollen, so Frau Leuze, würden torpediert. Einsicht in Personenfestakten, aus denen allein zu ersehen sei, ob eine Person zurecht in APIS gespeichert sei, würden verweigert, und das ganze vom Innenministerium auch noch gerechtfertigt. Und nicht genug damit. Daten von Raketen-Blockierern werden, wie 900.000 ihresgleichen in der Polizeilichen Auskunftsdatei des Landes, trotz Zusage nicht drei, sondern zehn Jahre gespeichert. Ohne jede Rechtsgrundlage gestatten die Städte Mannheim und Stuttgart der Polizei ungehinderte Einsichtnahme ins Melderegister. Vermerkt sind dort nicht nur aktuelle, sondern auch Daten längst Verzogener und Verstorbener.

Doch auch Ärzten, Krankenhäusern oder Krankenkassen ist Datenschutz oft fremd. So werden Krankenanamnesen vielfach offen vor anderen Patienten ausgeplaudert. Der süddeutsche Rundfunk ließ sich zum Aufspüren von Schwarzhörern die Daten aller über sechzehnjährigen aus dem Kreis Albstadt geben, Standesämter geben Daten von Eltern an örtliche Meldeämter ab, selbst wenn deren Kinder nach der Geburt adoptiert wurden.

Obwohl die baden-württembergische Landesregierung ihre informationstechnische Aufrüstung unverändert weiterbetreibe, so Frau Leuze, stehe eine Anpassung des Datenschutzgesetzes unter Einbeziehung moderner Kommunikationstechniken noch immer aus. Das Datenschutzrecht sei nach wie vor nicht verfassungskonform. Und den umstrittenen Bundesentwurf für ein neues Datenschutzrecht trage ja nicht einmal das Bonner Kabinett vollständig mit.