: Kewenig läßt Oberspitzel fallen
Berlins Innensenator macht allein Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz für SPD-Bespitzelung verantwortlich / Mitwisserschaft von Diepgen und Kewenig nicht nachweisbar ■ Aus Berlin Wolfgang Gast
Im Zusammenhang mit den Skandalen des Berliner Verfassungsschutzes (VfS) wackelt seit gestern der Stuhl des noch amtierende Leiters, Dieter Wagner. In der Sitzung des Untersuchungsausschusses ließen sowohl Innensenator Wilhelm Kewenig als auch der Regierende Bügermeister Diepgen den VfS -Chef fallen. Nachdem feststeht, daß der frühere V-Mann Telschow den SPD-Abgeordneten Pätzold im November vergangenen Jahres wiederholt aufgesucht und nach der undichten Quelle seiner Vorwürfe gegen das Landesamt ausgespäht hat, soll nun der Behördenleiter Wagner die alleinige Schuld für die Aushorchung tragen. Kewenig und Diepgen versicherten, sie hätten von den Besuchen weder gewußt, noch hätte es dafür einen Auftrag gegeben. Trotz der Ungereimtheiten konnten die Oppositionsvertreter im Ausschuß weder dem Innensenator noch dem Regierenden nachweisen, daß diese von der Bespitzelungsaktion des VfS gewußt hätten.
Nachdem der V-Mann im Rahmen der Anti-IWF-Aktionen wegen Steinewerfens zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, hatte der Innensenator am 4.10. angeordnet, zum Verbindungsmann „alle Taue zu kappen“. Weisungswidrig hat Wagner - wie er selbst vor dem Ausschuß eingeräumt hat - die Anordnung aber dahingehend uminterpretiert, daß die Nachbetreuungszeit für den Ex -DDRler Telschow zweimal länger als seine offizielle „Erprobungsphase“ im Amt gedauert hat.
Diepgen will von der Bespitzelung Pätzolds erst am 24.November erfahren haben, als die SPD-Abgeordneten Pätzold und Lorenz in der Sitzung des Abgeordnetenhauses öffentlich gleichlautende Vorwürfe erhoben. Auf sein Betreiben sei es dann am 27. November, drei Wochen nach den ersten Berichten Telschows über seine Besuche bei Pätzold, zu einer Sondersitzung mit Staatssekretär Müllenbrock, Innensenator Kewenig und VfS-Chef Wagner im Rathaus gekommen.
Wie Diepgen will auch Kewenig erst Ende November von den Kontakten Telschows zu dem SPD-Parlamentarier erfahren haben. An diesem Tage habe Wagner ihm die Besuche des V -Mannes beim Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission „gebeichtet“ und ihn über die „Nachbetreung“ des früheren VfS-Mannes Telschow informiert. Er habe zuvor keine Veranlassung gehabt, das Schweigen des VfS-Leiters zu hinterfragen. An seiner Weisung, „die Taue zu kappen“, hätte „es nichts zu rütteln und zu deuten“ gegeben. Der SPD-Abgeordnete Pätzold hatte aber zu dieser Zeit wiederholt den Innensenator von den Besuchen des V-Mannes informiert und ihm seinen Verdacht mitgeteilt, daß er vom Verfassungsschutz ausgeforscht werde.
Kewenig erklärte, er habe die Sache „von Anfang an als Politposse gewertet“. Pätzold hätte seiner Meinung nach nur daran Interesse gezeigt, „aus dem grotesken Vorgang“ Wahlkampfmunition zu schlagen. Den VfS-Leiter Wagner habe er dennoch beauftragt, „der Sache nachzugehen“. Zweimal habe er Wagner von den Verdächtigungen Pätzolds unterrichtet. Wagner - der über Telschows Aktivitäten bestens informiert war soll aber jedesmal den „hochsensiblen Vorgang“ verschwiegen haben.
Am 28. November, also nach der „Beichte“ des VfS-Chefs, hatte Kewenig aber im Innenausschuß die Abschrift eines veralteten Interviews mit Telschow verbreiten lassen, in dem der Ex-Verbindungsmann seine Kontakte zum VfS leugnete. Der skandalträchtige Senator präsentierte dafür gestern eine überraschende Erklärung: Unabhängig vom Wahrheitsgehalt habe er gewollt, „daß alle Ausschußmitglieder auf dem gleichen Informationsstand sind“. Bisher hatte sich Kewenig voll hinter den VfS-Leiter gestellt und seine „Uminterpretation“ mitgetragen. Gestern überraschte er den Untersuchungsausschuß mit der Aussage, er habe Wagner „nicht die Absolution erteilt“, es aber bei einer „internen, sehr ernsten Aussprache bewenden lassen“.
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