Gross und Klein

■ Eine Tagung linker Zeitschriften im bayerischen Irsee

Ort der Komödie war das ehemalige Benediktinerkloster Irsee. Heute, nachdem es während des Dritten Reiches als Euthanasie -Stätte diente, ist es ein extrem angenehmer Tagungsort in bayerischem Barock. Von den Decken herab weisen pausbäckige Engel den Betrachtern den Weg und an den Wänden hängen Sprüche Salomonis, die die SPD-Genossen, als sie hier ihr Irseer Programm verabschiedeten, daran erinnerten, daß der Segen des Herrn auf der freien Marktwirtschaft ruht: „Wer Getreide zurückhält, dem fluchen die Leute; wer es aber auf den Markt bringt, dessen Haupt wird gesegnet.“

Am vergangenen Wochenende waren dort Vertreter von mehr als dreißig linken Zeitschriften. Viel Sozialdemokratisches: „Neue Gesellschaft“, „SP-Verlag“, „SPD-Pressedienst“, „Tribüne“ (Wien), aber auch strenge Marxisten wie „Sozialismus“ aus Hamburg oder die Leute von „Frontal“. Daneben parteilich Ungebundeneres wie „Ästhetik und Kommunikation“, „Trickster“, „Pogrom“, die „Nürnberger Blätter“, die „Vorgänge“ und andere. „Lettre“ und „taz“ waren auch vertreten.

Ein erster Erfolg der Tagung war erzielt als die Vertreterin der inzwischen fast zwanzigjährigen „Ästhetik und Kommunikation“ aus allen Wolken zu fallen schien: „Ist es denn wahr, daß sie alle subventioniert werden: die „Akzente“, der „Freibeuter“, der „Merkur“. Können selbst die besten nicht auf eigenen Füßen stehen?“ „Sicher“, antwortete ihr der Profi vom SP-Verlag. Woher Geld nehmen? Ein paar Institutionen wurden genannt. Bei der AG-Wort könne man vielleicht 500 DM im Jahr rausnudeln, in manchen Städten gebe es Töpfe, da müsse man sich halt ein wenig umsehen.

Alternativ-business as usual. Nicht ohne Komik. Dann stellten Luciana Castellina, Euopaabgeordnete der KPI, und Tilman Fichter, ehemals rechte Hand von Peter Glotz, ein neues Projekt vor. Man solle in Brüssel ein Büro einrichten, das die linken europäischen Zeitschriften auswerte und Interessenten die gewünschten Artikel übersetze und zuschicke. Soweit hatte niemand etwas dagegen. Aber die KPI -Abgeordnete ließ die Katze aus dem Sack: nötig wäre wieder eine linke Weltanschauung. Das Pendel sei zu weit in Richtung Pluralismus ausgeschlagen, jetzt müsse man wieder an einer ideologischen Plattform bauen. An diesem Teil des Projekts war das Interesse verschwindend gering. Als dann der Angestellte einer der reichsten Parteien Westeuropas, der SPD, Tilman Fichter, noch meinte, die größeren Projekte wie zum Beispiel die taz könnten doch die Sache finanzieren helfen, da wurde die Geschichte vollends zur Farce. Da wollen ausgerechnet die, die seit Jahren erklären, man könne gesellschaftlich nur in der SPD etwas ausrichten, jetzt Geld von Leuten, die wissen, warum sie nicht reingehen, um die SPD auf Vordermann zu bringen. Die paar Mark für die Brüsseler Mailbox könnte die SPD aus der Portokasse eines mittleren Ortsvereins zahlen. Wenn jahrelange politische Kärnerarbeit nicht mal sowas bringt, wozu dann die Katzbuckelei?

Aber das summum bonum kam erst. Peter Glotz beschimpfte in seinem Beitrag die anwesenden Vertreter der linken Zeitschriften, sie verstünden nicht die Zeichen der Zeit. Es käme jetzt alles darauf an, den internationalen Mediengiganten entgegenzuarbeiten. Die Bundesrepublik und Europa brauchten eine neue Wachstumsphase. Da könne man nicht danebenstehen, sondern man müsse ins Nachrichtensatellitengeschäft, in die Produktion hochintelligenter Produkte, in die Märkte der Zukunft. Tja... und sein Adlatus kriegt noch nicht mal Geld für'n Brüssler Ausschnittdienst.

Soviel, so vehement vorgetragene Auslassungen über die wirklichen Machtverhältnisse angesichts dieses ohnmächtigen Publikums. Ebensogut hätte Glotz unter den Brücken von Paris über die Schwankungen des Lombardsatzes dozieren können. Bei der Vorstellung er habe in den Hinterzimmern bayerischer Gaststuben ähnlich geredet, um seinen Genossen Hiersemann aus dem Sattel zu wuchten, wurde die Irseer Tagung bei den Freunden unfreiwilliger Komik ein voller Erfolg.

Arno Widmann