Dollfuß, Waldheim und ihr Nachwuchs

In Östereich sind alte neue Nazis längst wieder salonfähig / Die FPÖ hat mit ihrem modernisierten Rechtsextremismus bei Jungwählern aus der Mittelschicht Erfolg / Eine neue „rechte Synthese“ bahnt sich an / Ausländerhaß und Antisemitismus blühen / Slowenischsprachige Schulkinder sollen getrennt erzogen werden  ■  Aus Wien Walter Oswalt

Zum 50. Jahrestag des „Anschlusses“ Österreichs an Nazi -Deutschland wurde letztes Jahr am Parlament in Wien feierlich eine Gedenktafel enthüllt. Das ehrende Gedenken galt unter anderem einigen österreichischen Faschisten. Gefeiert wurden hier im Frühjahr 1988 der Führer der austrofaschistischen „Heimwehr“ und Gründer des Antisemitenbundes in Tirol, Richard Steidle, sowie Hans Prodinger, Gründer der Salzburger NSDAP.

Diese Ehrung der „Männer der ersten Stunde“ war keine Provokation einer rechtsradikalen Aktionsgruppe, sondern eine offizielle Veranstaltung des österreichischen Nationalrats. Die Tafel wurde gemeinsam von Vertretern der staatstragenden Parteien SPÖ (Sozialistische Partei Österreichs), ÖVP (Österreichische Volkspartei) und FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) enthüllt. Offiziell gilt diese Tafel der Ehrung der „Opfer“ des NS-Regimes. Aber die Namen von Opfern des Austrofaschismus - bereits vor dem „Anschluß“ wurden unter der Herrschaft der katholisch -österreichischen Variante des Faschismus Kommunisten, Sozialisten, Liberale, Gewerkschafter und Juden verfolgt und umgebracht - sucht man auf der Gedenktafel vergeblich.

Dieser Umgang mit der Vergangenheit hat Bedeutung für die politische Gegenwart Österreichs: Alte und neue Rechtsradikale sind in der Alpenrepublik hoffähig, treten sie nur „anständig“ auf - sei es im Gewand des katholischen Priesters oder in der Uniform eines Bundesheergenerals. Die Wahl des ehemaligen Wehrmachtskarrieristen Kurt Waldheim hat der Weltöffentlichkeit klargemacht, daß man in Österreich nicht nur trotz, sondern gerade wegen seiner Beteiligung an NS-Verbrechen Bundespräsident werden kann. Der Fall Waldheim ist ein Symptom dafür, daß die Traditionen gegen die Menschenrechte - vom Haß gegen „den Osten“, „den Balkan“, „den Juden“ bis hin zum deutschen Militarismus und christlichen Antiliberalismus - vom offiziellen Österreich nie abgeschnitten wurden, sondern in ihm lebendig sind. Zur „Gemeinsamkeit der Demokraten“ gehört in der Bundeshauptstadt Wien und noch stärker in den Bundesländern Österreichs das gleichgültige Hinnehmen, wohlwollende Akzeptieren, taktische Integrieren und bewußte Fördern von rechtsradikalem Handeln und Denken.

Die österreichische Volkspartei ÖVP - in freundschaftlicher Nähe zur CDU - wurde nach dem Ende der NS-Herrschaft in Österreich als Fortsetzung der austrofaschistischen Tradition gegründet, gestützt vom Mythos, die Führer des Austrofaschismus seien die „ersten Opfer“ der Nazis gewesen. Die zweite rechte Partei, die FPÖ, wurde nach 1945 von ehemaligen Nazifunktionären gegründet und aufgebaut. Dadurch war das politische Spektrum rechts von der SPÖ von Anfang an von zwei Parteien bestimmt, die keine demokratische und liberale Tradition haben. Die antifaschistische Tradition innerhalb der sozialistischen SPÖ war durch die Verfolgung und Ermordung der Linken - darunter viele österreichische Juden - nach 1945 zum größten Teil vernichtet. Ehemalige Nazis konnten in der SPÖ - wie in Justiz, Presse, Wirtschaft und Wissenschaft - schnell Führungspositionen einnehmen und Seilschaften für Rechte aufbauen. In der ersten Regierung Bruno Kreiskys 1970 waren beispielsweise vier ehemalige Nazis Minister. Die Integration ehemaliger Nazis gehört zum österreichischen Grundkonsens. Alle etablierten Parteien, von der „christlich-sozialen“ ÖVP über die „sozialistische“ SPÖ bis zur „kommunistischen“ KPÖ versuchten schon am Ende der vierziger Jahre, das große Wählerpotential der 600.000 österreichischen Nazis zu nutzen, indem sie ihnen auf Wahlplakaten offen Amnestie und Gesellschaftsfähigkeit versprachen.

Rechtsradikale Gruppen wurden deshalb in Österreich trotz des verfassungsrechtlichen „Verbots der Wiederbetätigung“ von Staats wegen fast nie ernsthaft bekämpft und trotz antifaschistischer Rituale nie politisch und sozial isoliert: „Die NFA (National-Freiheitliche Aktion) ist wie die NDP (Nationaldemokratische Partei) eine Kaderorganisation, die Druck machen kann. Es gibt in jeder Partei, aber vor allem in der FPÖ und in der ÖVP Gruppierungen, die mit uns sehr stark übereinstimmen. Je mehr Druck wir ausüben, um so stärker ist der Einfluß dieser Gruppen in ihren Parteien.“ Mit diesen Sätzen macht der Vorsitzende der rechtsradikalen NDP, Norbert Burger, deutlich, daß sich Neonazi-Organisationen in Österreich bisher als Avantgarde einer Gesellschaft der Zukunft fühlen können.

Zur Zeit gibt es eine doppelte Veränderung. Einerseits müssen neonazistische Kleingruppen und Kaderorganisationen jetzt zum ersten Mal mit Hausdurchsuchungen und Verhaftungen rechnen, seit linke Anwälte aus der „Anti-Waldheim-Bewegung“ Grundsatzurteile gegen die „Wiederbetätigung“ erzwungen haben. Andererseits wird von etablierten Parteien direkter als zuvor mit rechtsradikalen Parolen um Wählerstimmen geworben. Die Rechtsradikalen in Parteien und Institutionen konnten ihre Macht ausbauen.

Der österreichische Außenminister Alois Mock bekam letztes Jahr einen Brief aus St.Georgen: Es lägen Beweise vor, daß die Gaskammern im KZ Mauthausen „erst nach 1945 eingebaut worden sind“. Das Schreiben hatten örtliche ÖVP-Mandataren an ihren Parteivorsitzenden Mock gerichtet.

Nachdem die Offensive ihrer rechtsradikalen Parteifunktionäre bekannt wurde, distanzierte sich die ÖVP -Spitze zwar von der Auschwitz-Lüge. Gleichzeitig steht die österreichische Volkspartei jedoch zu ihrem faschistischen Vorbild. Das Bildnis des Führers der Austrofaschisten, Dollfuß, unter dem die Republik abgeschafft, die demokratischen Parteien und Gewerkschaften verboten und die ständestaatliche christliche Diktatur geschaffen wurde, hängt in den Räumen der Nationalratsfraktion der ÖVP. Sogar in der österreichischen Verfassung hat der Austrofaschismus überdauert. So wurde nach 1945 nicht eine neue Verfassung beschlossen oder die parlamentarisch ausgerichtete Verfassung von 1920 wiedereingesetzt, sondern die vom Austrofaschismus geprägte Verfassung von 1929 übernommen. Der Bundespräsident hat in Österreich deshalb heute noch die Möglichkeit - nach dem Vorbild des Duce -, Regierung und Parlament, wenn es ihm gefällt, aufzulösen, mit Notverordnungsrecht zu regieren und das Bundesheer einzusetzen.

Innsbruck 1986: „Sieg Heil!“ rufen die einen. Dann ruft jemand: „Der Steger und seine Frau g'hören vergast!“ Ein Vorstandsmitglied zeigt stolz eine neugeprägte Hitler-Münze

-Szenen vom Bundesparteitag der FPÖ. „Eine Partei mit großer Tradition findet ihre Identität in der deutschen Kulturgemeinschaft wieder“, schreibt die 'Nationalzeitung‘ über die FPÖ, drittstärkste Partei Österreichs und ehemaliger Koalitionspartner der SPÖ. Die Begeisterung der 'Nationalzeitung‘ gilt der Wahl des Jörg Haider zum Parteivorsitzenden. Haider, 39 Jahre, von seinen jugendlichen Anhängern auch als „HJ“ bezeichnet, steht für die Modernisierung des Rechtsextremismus in Österreich. Unter seiner Führung hat die FPÖ 1986 bei den Nationalratswahlen 9,73 Prozent der Stimmen bekommen. Haider gibt sich unbefangen: „Ich habe nie eine Schrift gelesen, die aus dem Dritten Reich stammt.“ Und: „Auch noch nie eine Schrift über das Dritte Reich gelesen.“ Auschwitz interessiert ihn nicht: „Wenn Sie so wollen, dann war es halt Massenmord.“

Daß er, wie er selbst sagt, „volksbewußt“ ist, zeigt er mit einer scheinbar liberalen Sprache: Wenn er gegen „Privilegienwirtschaft“ und die „Willkür der Bürokraten“ kämpft, gegen den „roten Filz“ loszieht und die „innere Befreiung“ fordert, verstehen seine rechtsradikalen Freunde, was gemeint ist. Sie antworten auf diese Parolen mit zustimmenden Zwischenrufen wie: „Judensau, verrecke!“ Mit dem Kampf gegen die „Systemparteien“ erreicht die FPÖ nicht nur die relativ kleine Wählergruppe der alten und neuen Nazis, sondern gleichzeitig immer wichtiger werdende Wählerschichten, die sich enttäuscht von den Koalitionspartnern SPÖ und ÖVP abwenden. Haider erreicht Arbeiter, Bauern und Kleinbürger in der österreichischen Provinz, die durch die dritte industrielle Revolution entwurzelt sind. Außerdem stellte das Institut für empirische Sozialforschung (Wien) im Oktober 1988 fest, daß die FPÖ „ihr Hoffnungsgebiet vor allem in den Mittelschichten der 'white collar workers‘ in der Klasse der Informationsgesellschaft“ hat. 25 Prozent der Zweitwohnungsbesitzer aus Wien stimmten zum Beispiel bei der letzten Wahl für die FPÖ.

Es ist eine neue rechte Synthese, die auch für andere europäische Länder zukunftsweisend sein könnte: Einerseits tritt Haider in Veranstaltungen auf, bei denen zum Abschluß gemeinsam das SS-Lied Wenn alle untreu werden gesungen wird. Andererseits bestätigt das Gallup -Sozialforschungsinstitut (Wien) seiner Führungsmannschaft, „diese Menschen sind jugendaffin, sie strahlen ein gewisses jugendliches Flair aus und bieten damit einer neuen Wählerschicht Identifikationsmöglichkeiten“. Ein Drittel der FPÖ-Wähler sind Jungwähler. Damit hat diese Partei unter den etablierten Parteien den höchsten Anteil von Wählern unter 30 Jahren. Sie gewann unter den Jungwählern rund ein Prozent mehr Stimmen als die Grünen.

'Kronenzeitung‘ hetzt

gegen Juden

Zur Gesellschaftsfähigkeit des Rechtsradikalismus‘ in Österreich trägt entscheidend die österreichische Presse bei. Die größte Zeitung des Landes, die 'Kronenzeitung‘, gehört zur Hälfte (45 Prozent) dem westdeutschen 'WAZ' -Konzern. Die 'Krone‘ hat mit zwei bis drei Millionen Lesern eine einmalige Marktmacht. Sie ist die einzige große Tageszeitung Europas mit einer antisemitischen Blattlinie.

Nach einer Untersuchung des Instituts für Publizistik (Wien) war jeder dritte Artikel der 'Kronenzeitung‘ zur Waldheim-Diskussion antisemitisch. Gleichzeitig zum Kampf gegen das „Weltjudentum“, den die meisten großen österreichischen Zeitungen führen, findet Völkerverhetzung auf der ersten Seite statt: „Polenheere überfallen unser Land!“ bringt das Massenblatt 'Die ganze Woche‘ als Aufmacher. Die 'Kronenzeitung‘ titelt: „Gesindelimport“ und schimpft gegen Gastarbeiter, die „arbeitsscheu als Touristen eingesickert sind“, und gegen den „Familientroß im Stil des Balkans“.

Die lebensgefährliche Immunschwäche der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung gegen rechtsradikales Denken und Handeln wird durch aktuelle Untersuchungen zum Antisemitismus in Österreich belegt. Etwa 25 Prozent der Bürger sind radikale Antisemiten, und nur eine Minderheit von einigen Prozent der Bevölkerung hat überhaupt keine antisemitischen Vorurteile.

In diesem Klima können rechtsradikale Positionen praktische Politik werden. Haider will nicht die Fehler machen, die seiner Meinung nach Hitler gemacht hat. „Der Hitler war kein nationaler Mensch - einer, der national ist, schenkt doch nicht Südtirol her.“ Haider, der Österreich für eine „Mißgeburt“ hält und feststellt, daß Österreich „immer als Teil des deutschen Volks bewußt gefühlt hat“, führt an den Grenzen des Landes einen Kulturkampf für die „deutsche Kultur“. Auf die folgende Frage des österreichischen Nachrichtenmagazins 'Profil‘: „Wir werden dann zur Nation, wenn der Slowene nicht mehr der Slowene ist?“ antwortet er: „Ja, das wird sicherlich auch eine Rolle spielen. Der Slowene wird zweifelsohne etwas einbringen, der Gebrauch der Sprache wird abkommen“ (verschwinden, d.Red.). So fordert die FPÖ zusammen mit dem Kärntner „Abwehrkämpferbund“ und dem Kärntner „Heimatdienst“, daß Kinder, die slowenisch sprechen und schreiben wollen, von deutschsprachigen Kindern getrennt werden. Es geht um die Trennung der Kinder nach ihrer Muttersprache mit dem Ziel der „Eliminierung des Slowenischen“. Im letzten Jahr wurde aus dieser rechtsradikalen Forderung ein erster Schritt realer Politik. Die Parteien FPÖ, ÖVP und SPÖ einigten sich auf die Sprachentrennung in den Schulen. Ähnliche Tendenzen gibt es auch in der Asylpolitik. Als sich Polen mit einem Hungerstreik gegen die Verschärfung der ursprünglich liberalen österreichischen Asylpolitik wehrten, wurden sie 1988 mit einem amtlichen Bescheid, abgefaßt in NS-Diktion, abgeschoben. Der Bescheid spricht von „sozialschädlichen Neigungen zu Verstößen gegen die Rechtsgüter der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit“.