: Paris dementiert Berichte über Chemiewaffen
Rüstungsforscher und Chemiearbeitergewerkschaft bleiben bei ihren Darstellungen / Giftgasdepots bei französischen Truppen in der BRD vermutet / Friedensforscher und -gruppen aus der Pazifikregion berichten über französische Tests von Binärwaffen auf dem Mururoa-Atoll ■ Aus Paris Andreas Zumach
Die Regierung Frankreichs, derzeit Gastgeberin der internationalen Chemiewaffenkonferenz, hat am Montag Berichte ausländischer Zeitungen über französische Chemiewaffen dementiert.
Auf einem Empfang der Regierung für die Konferenzteilnehmer erklärte Außenminister Dumas am Montag abend vor Journalisten: „Frankreich hat keine Chemiewaffen.“ Nach der taz (am vergangenen Samstag) hatten am Montag auch der britische 'Independent‘ und die 'International Herald Tribune‘ über die Existenz französischer C-Waffenarsenale, die Produktion moderner Binärwaffen sowie Verkaufsofferten französischer Firmen für C-Waffen (-bestandteile) auf dem internationalen Waffenmarkt berichtet.
Fragen nach französischen Vernichtungsanlagen für C-Waffen tat Dumas als abwegig ab: „Wir brauchen keine.“
„Dumas lügt“, kommentierte Ben Cramer, einer der wenigen regierungs- und parteiunabhängigen französischen Rüstungs und Friedensforscher gegenüber der taz die Äußerungen des Außenministers. Paul Tabary, Sekretär für Friedens- und Abrüstungsfragen bei der Gewerkschaft der Chemiearbeiter (FNIC), bekräftigte auf einem Kolloquium kritischer Wissenschaftler anläßlich der Pariser Konferenz die Informationen über französische C-Waffen. Die FNIC, Mitglied des kommunistischen Gewerkschaftsverbandes CGT, hatte durch Recherchen ihrer Mitglieder in Chemiebetrieben einen wesentlichen Teil der Fakten zutage gefördert.
Seit Beginn der Pariser Konferenz am vergangenen Wochenende zeichnen die regierungsnahen Medien, allen voran das Staatsfernsehen, das Bild eines bezüglich der C-Waffen völlig unschuldigen Landes.
Die einst links-unabhängige 'Liberation‘, inzwischen jedoch zur unkritischen Unterstützerin Mitterrands geworden, veröffentlichte eine Weltkarte mit angeblich allen Staaten, die den Chemiewaffenbesitz zugegeben haben, dessen verdächtigt werden bzw. im Stadium der Beschaffung sind. Frankreich fehlt auf dieser Karte, was unter vielen westlichen Konferenzteilnehmern mit ungläubigem Kopfschütteln quittiert wurde.
Zur Behauptung der 'Liberation‘ - unter Berufung auf nicht näher identifizierte „Regierungsquellen“ -, Frankreich habe alle seine C-Waffenvorräte bereits „1972 vernichtet“, erklärte Friedensforscher Cramer: „Das hören wir zum ersten Mal.“ Dagegen wird in den letzten Jahrbüchern des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI sowie in Veröffentlichungen anderer unabhängiger Forschungseinrichtungen von existierenden französischen Giftgasvorräten in einer Größenordnung der US-Arsenale in der Bundesrepublik (ca. 435 Tonnen) ausgegangen.
Grund für die offensichtlichen Widersprüche könnten, so Cramer, „definitorische Spitzfindigkeiten der Regierung Mitterrand“ sein, die die „möglicherweise getrennt gelagerten Giftgase, Geschosse und Abschußgeräte schlicht nicht als C-Waffen definiert und somit die Existenz französischer C-Waffen bestreitet“. Cramer räumte ein, daß über Lagerorte französischer Chemiewaffen „bislang kaum etwas bekannt“ sei. Es gebe „einige Wahrscheinlichkeit für C -Waffen-Depots bei den französischen Truppen in der Bundesrepublik“.
Ähnliche Hinweise hatte der renommierte französische C -Waffenexperte Julian Perry Robinson, Autor der C -Waffenkapitel in den SIPRI-Jahrbüchern im vergangenen Jahr gegenüber der taz gegeben.
Für die bislang lediglich auf mündliche Äußerungen des französischen Verteidigungsministers Chevenement gestützten Vermutungen, wonach im Militärplan bis 1991 900 Millionen Francs für die Produktion binärer Chemiewaffen vorgesehen sind, gibt es laut Cramer jetzt auch Belege in Regierungsdokumenten. Laut SIPRI hat Paris 1986 die grundsätzliche Entscheidung für die „Modernisierung“ der Chemiewaffen getroffen. Die FNIC berichtet, gestützt auf Friedensforscher und -gruppen aus der Pazifikregion, daß Frankreich auf seinem Atomtestgelände Murora-Atoll bereits Tests mit Binärwaffen durchführt.
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