Tiefstflugterror - gerecht verteilt

Viele der in Politikerpanik gemachten Vorschläge zur Reduzierung der Tiefflüge sind leere Versprechungen / Bund-Länder-Kommission berät Ende Januar Verteilung der Tiefstflüge / Dann ist auch eine Erhöhung der Gesamtflugzahl möglich  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Der Tiefstflug treibt die Bevölkerung der Bundesrepublik um, wie selten zuvor ein Thema; die Regierungsparteien sind beunruhigt, die angebotenen Reduzierungsvorschläge von der Not diktiert. Die Wirklichkeit ist viel prosaischer, als die politisch Verantwortlichen glauben machen wollen. Geht es nach den Militärs, ist nicht einmal ausgeschlossen, daß der Luftterror nicht abnimmt, sondern der Tiefstflugbereich von 75 Metern unter dem Schlagwort der „Entzerrung“ künftig bundesweit erlaubt sein kann.

Die vielbeschworenen Flugsimulatoren sind noch in der Anfangsphase der Entwicklung und lediglich Beruhigungspillen; der für dieses Jahr angekündigte Wegfall der „Zweitrolle“ der Kampfjets als Bomber bringt eine Reduzierung von 1.000 Tiefflugstunden; weitere 1.300 sollen bis 1991 nach Kanada verlagert werden (was beides zusammen eine Reduzierung um schlappe 3,5 Prozent der derzeit 70.000 Tiefflugstunden bedeutet). Auf die angekündigte Verlagerung in die Türkei darf ebenfalls noch Jahre gewartet werden, weil das Trainingszentrum erst einmal gebaut werden muß. Abgesehen von einem vagen Hinweis, die US-Luftwaffe erwäge eine teilweise Verlagerung nach Marokko, üben sich die Alliierten in Abstinenz. Sie aber stellen rund zwei Drittel aller Tiefflüge, mit nehmender Tendenz.

So steht zu befürchten, daß das Ergebnis vor allem in einer „gerechteren“ Verteilung der Tiefflugplage liegt, die bis auf Großstädte und kleinere Sondergebiete sämtliche Teile der Bundesrepublik trifft. Das Veteidigungsministerium will eine „Übersättigung“ einzelner Gebiete mit der Einrichtung einer Einsatzzentrale verhindern. Bereits in der Flugvorbereitung der Geschwader sollen die Daten zentral gesammelt werden, um möglichen Konzentrationen von Tiefflugeinsätzen auf die Spur zu kommen. Derzeit plant jedes der 15 Kampfgeschwader der Bundeswehr für sich. Damit verspricht sich das Ministerium eine „Entzerrung“. Zumindest teilweise beginnen könne die Zentrale ihre Arbeit „noch in diesem Jahr“, hofft Luftwaffensprecher Trittermann. Ob die rund 25 alliierten Geschwader und die täglich in den deutschen Luftraum einfliegenden Lufttouristen aus anderen Nato-Ländern ebenfalls von der Einsatzzentrale dirigiert werden, ist völlig offen. „Es laufen Gespräche“, heißt es im Ministerium lediglich. Einem wesentlichen Anliegen der zivilen Luftlotsen aber, die sich über militärische Luftrowdies beschweren, hilft die Einsatzzentrale nicht ab; sie soll nur Tiefflüge im Bereich von 450 bis 150 Metern koordinieren, eine Zusammenarbeit mit zivilen Leitstellen ist nicht vorgesehen.

Wie der besonders gesundheitsgefährliche Tiefstflug bis auf eine Tiefe von 75 Metern zu reduzieren sei, solle eine im vergangenen Dezember gebildete Bund-Länder-Kommission am 26.Januar beraten. Auferstehen könnte dabei paradoxerweise ein bereits zu den Akten gelegtes Vorhaben von Scholz -Vorgänger Wörner. Danach sollen die bisherigen sieben für Tiefstflug ausgewiesenen Gebiete in Niedersachsen, Schleswig -Holstein, Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen mit unerträglichen Belastungen für die Anwohner aufgehoben werden. Statt dessen - so die makabre Idee - soll die gesamte Bundesrepublik in 49 Bereiche unterteilt werden, die im „Rotationsverfahren“ von den Kampfjets zerbrüllt werden können: Pro Monat kämen jeweils sieben Gebiete dran, die bis auf 75 Meter Tiefe freigegeben wären. Was für die bisherigen Hauptbetroffenen wie eine Entlastung aussehen wird, kann sogar eine Erhöhung der Gesamtflugzahl bedeuten.

Die Neigung der Bundesländer, insbesondere der derzeit nicht betroffenen, bei diesem Plan mitzuspielen, ist gering. In Rheinland-Pfalz - ohne eigenes Tiefstfluggebiet - hat der Landtag bereits mit den Stimmen aller vier Parteien eine Mindestflughöhe von 300 Metern, das Verbot von Luftkampfübungen über Wohnsiedlungen und schnellste Entwicklung von Alternativen zum Tiefflug gefordert. Den Opfern in den Tiefstflugzonen nutzt das nichts. Ihnen muß auch die medizinische Erfahrung wie Hohn vorkommen, daß sich der gesundheitsschädigende Schallschlag durch Gewöhnung besser aushalten läßt, als wenn beim Rotationsverfahren sämtliche Teile der Republik alle halbe Jahre drankommen.

Kohl unterstützt Scholz

Bonn (afp) - Bundeskanzler Kohl hat sich in der Debatte über die Tiefflüge eindeutig auf die Seite von Verteidigungsminister Scholz gestellt. In einem Interview der 'Welt‘ (Mittwochausgabe) sagte Kohl: „Natürlich können wir bei den Tiefflügen noch einen Teil reduzieren, aber es ist eine reine Illusion zu glauben, daß wir ganz darauf verzichten können, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt.“ Wer die Tieffliegerei ganz abschaffen wolle, müsse wissen, daß er damit die Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik „im Kern trifft“. Im Einvernehmen mit Belgien sind mit Jahresbeginn 1.000 Tiefflugstunden eines Nato -Ausbildungsprogrammes ins Nachbarland verlagert worden, erklärte das Bundesverteidigungsministerium am Dienstag im WDR.

Unterdessen hat sich der Landesfremdenverkehrsverband Bayern über Lärmbelästigungen durch Tiefflieger beschwert: „Es sind selten soviel Beschwerden deswegen bei unseren Kurverwaltungen eingetroffen wie gerade im abgelaufenen Jahr“, sagte Verbandsdirektor Günter Stopperich am Montag in Kiel vor Journalisten. Sein Verband und der Bayerische Heilbäderverband warnten „eindringlich vor der Lärmbelästigungsquelle“.