Gedächnislücken aus Loyalität

Zwei Ex-Innensenatoren können sich nicht erinnern  ■ K O M M E N T A R

Als Berlins Innensenator Kewenig (CDU) vor wenigen Tagen im Zusammenhang mit der Verfassungsschutzaffäre verbreiten ließ, die SPD solle endlich damit anfangen, den stinkenden Dreck vor ihrer eigenen Tür zu beseitigen, konnte man hoffen, die große Koalition des Schweigens sei nun am Ende, jetzt werde ausgepackt, schließlich sei in den letzten 15 Jahren nicht nur die CDU für den Geheimdienst verantwortlich gewesen.

Doch die Hoffnung trog. Die gestern mit Spannung erwarteten Auftritte der beiden früher verantwortlichen Ex -Innensenatoren Ulrich (SPD) und Lummer (CDU) glichen sich aufs Haar: beide scheinen wandelnde Erinnerungslücken zu sein. Als ob die Einschleusung von V-Leuten in eine Zeitung sich auf dem Niveau einer Verkehrskontrolle bewegt, konnten sich beide an einen solchen Vorgang nicht erinnern. Zwar hätten sie solches persönlich nicht angeordnet, aber ausschließen, ausschließen mochte Lummer grundsätzlich gar nichts - womöglich könnte man ihn später darauf festlegen nein, er könne sich einfach nicht erinnern.

Da der VS - angeblich aus technischen Gründen - bis heute nicht in der Lage war, dem Ausschuß die erforderlichen Akten zu überreichen, gab es auch keine Möglichkeit, die Erinnerung der beiden Herren aufzufrischen. Damit war der Kreis wieder geschlossen, der Dunstschleier, den Kewenig zu lüften angekündigt hatte, wieder fast perfekt. Nur die Spitze des Eisberges wurde dann doch noch freigelegt. Ausgerechnet der für seine Zurückhaltung bekannte Datenschutzbeauftragte Kerkau räumte ein, was die Senatoren nicht wissen wollten. Das Material über die taz beim Verfassungsschutz füllt Bände, und es ist noch keineswegs ausgemacht, daß die Ausspähung der Zeitung der Vergangenheit angehört.

Seit knapp zwei Monaten stehen die Vorwürfe nun im Raum. Kewenigs Behauptung, die taz sei nie „im Ganzen“ ausgespäht worden, ist spätestens seit gestern als unwahr widerlegt. Trotzdem flüchten sich die Verantwortlichen weiterhin in Lügen und Erinnerungslücken, wird weiter gemauert und verschleiert. Offenbar stinken die Leichen im Keller so gewaltig, daß keiner der Beteiligten sich traut, die Kellertür aufzumachen. Nicht einmal drei Wochen vor den Wahlen.

Jürgen Gottschlich