USA wollen neue C-Waffen entwickeln

Augenzeugen berichten von Giftgas-Lieferungen Libyens an Somalia / US-C-Waffenprogramm Hindernis für Einigung bei Pariser Konferenz  ■ Von
Zumach & Klingelschmitt

Paris/Frankfurt (taz) – Die USA planen im Rahmen der „Modernisierung“ ihres Chemiewaffenarsenals zusätzlich zu den bereits seit Ende 1987 in Test und Produktion befindlichen binären „Big-Eye“-Bomben und Artilleriegranaten die Entwicklung neuer chemischer Sprengköpfe. Sie sollen bei see- und luftgestützte Raketen und Cruise Missiles sowie für 40-Kilometer-Raketen zur Bestückung des Mehrfachraketenwerfer-System (MARS) eingesetzt werden, dessen Stationierung in der Bundesrepublik bereits begonnen hat.

Im Militärhaushalt des am Montag von der Reagan –Administration dem US-Kongreß zugeleiteten Budgetentwurfs für das am 1.Oktober 89 beginnende nächste Haushaltsjahr sind bis einschließlich 1991 insgesamt 70,8 Millionen US –Dollar für die Ingenieurstudien der ersten Entwicklungsphase „anderer chemischer Waffensysteme“ und 34,6 Millionen für die zweite Phase, den Bau von Prototypen und Tests vorgesehen. Hinter der Bezeichnung „andere chemische Waffensysteme“ verbergen sich chemische Sprengköpfe, die das Pentagon bei Kongreßanhörungen in den vergangenen zwei Jahren gefordert hatte: für die MARS –Raketen, sowie die luft- und seegestützte Abstandswaffen und Cruise Missiles. Die geplanten Ausgaben für die bereits bekannten neuen binären Chemiewaffen sind im Haushaltsentwurf extra ausgewiesen und belaufen sich auf 69 Millionen US-Dollar für die „Big Eye“-Bombe und 150 Millionen für die 155-Milimeter-Artilleriegranaten. Das MARS –System, von dem mindestens 625 in Westeuropa, davon rund 300 in der Bundesrepublik stationiert werden sollen, dient schon heute als Abschußgerät für Raketen mit konventionellem Sprengkopf. Es ist außerdem als Werfersystem für die im Zuge der „Modernisierung“ atomarer Kurzstrecken der Nato vorgesehene ATACM-Rakete mit knapp 500 Kilometer Reichweite vorgesehen.

Libyen liefert Giftgas

nach Somalia

Während in Paris die C-Waffen-Konferenz ihrem Ende zugeht, haben sich jetzt erstmals durch Augenzeugen Gerüchte erhärtet, denen zufolge Libyen Giftgas an Somalia liefert. Asylsuchende aus Somalia, die zur Zeit im hessischen Sammellager Schwalbach untergebracht sind, berichteten, Libyien liefere die tödlichen Gase seit Oktober 1988 an das ostafrikanische Land. Die Nervengase „Sarin“ und „Soman“ stammten aus sowjetischer Produktion. Umschlagplatz für die Giftgase soll nach Angaben der Flüchtlinge ein Waffenlager der somalischen Regierung am Nordost-Ende der Hauptrollbahn des Flughafens der somalischen Hauptstadt Mogadischu sein.

Nach den Augenzeugenberichten der Flüchtlinge ist dort am 7. Oktober eine Maschine der Libyschen Fluggesellschaft „Libyan Airlines“ gelandet, die Kanister mit den Nervengasen „Sarin“ und „Soman“ nach Somalia transportiert habe. Nach Auffassung des Afrika-Experten der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, Ulrich Delius, sind die Augenzeugenberichte aus dem Lager Schwalbach eine „erste Bestätigung“ für die Gerüchte, die seit Monaten über libysche Lieferungen von Giftgas an Somalia in Umlauf seien. Nach noch unbestätigten Informationen der Gesellschaft soll Libyen Giftgase auch an den Sudan geliefert haben.

Die Angaben der somalischen Flüchtlinge decken sich mit einem Bericht der in London erscheinenden Monatszeitschrift 'New African', die in ihrer Januarausgabe gleichfalls über Giftgaslieferungen Libyens an Somalia berichtet. Neben Libyen sollen auch die Verei-

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nigten Staaten als Waffenlieferanten für Somalia fungieren. Da sich somalische Piloten weigerten, ihre aufständischen Landsleute zu bombadieren würden die Maschinen von Söldner -Piloten aus Süd-Afrika geflogen.

Die Giftgas-Lieferungen Libyens an Somalia dürften im Zusammenhang mit dem seit April 88 eskalierenden Bürgerkrieg zwischen den Regierungstruppen Somalias und den Rebellen der „Somali National Movement“ (SNM) stehen. Nach Berichten aus Somalia und Äthiopien sind bei Angriffen der somalischen Luftwaffe tausende von Menschen getötet worden.

USA Hindernis in Paris

Die Chemiewaffen-Aufrüstung der USA entwickelte sich gestern zum größten Hindernis für eine gemeinsame Abschlußerklärung bei der internationalen Pariser Chemiewaffenkonferenz. Die USA bestehen

auf einer Verurteilung der Weitergabe von C-Waffen an andere Länder, lehnen aber entschieden die Forderung der neutralen Staaten ab, dann auch ausdrücklich die „vertikale Proliferation“, sprich die Aufstockung von C-Waffen -Arsenalen zu verurteilen. Die UdSSR, die derzeit keine C -Waffen produziert und am Sonntag angekündigt hatte, dieses Jahr mit der Vernichtung ihrer Potentiale zu beginnen, unterstützt dieses Begehren. Für den Konflikt um die Forderung der neutralen Staaten nach einer Verknüpfung von chemischer und atomarer Abrüstung zeichnete sich gestern ein Kompromiß ab, nachdem sowohl die USA wie die UdSSR Druck auf die ihnen nahestehenden Länder ausgeübt hatten. Auch Frankreich, Großbritannien und Israel hatten eine solche direkte Verknüpfung als unakzeptabel abgelehnt. Erwartet wird eine Formulierung zur Dringlichkeit einer „umfassenden, allgemeinen Abrüstung“, ohne daß das Zustandekommen eines C -Waffenvertrages an irgendwelche Bedingungen geknüpft wird.