Die taz, eine staatsfeindliche Eisdiele

Untersuchungsausschuß zu Verfassungsschutz-Skandalen befaßt sich erstmals mit taz-Komplex  ■ Von Gottschlich und Host

Berlin (taz) – Die taz wird seit ihrer Gründung beim Bundesamt für Verfassungsschutz und diversen Landesämtern als „Verdachtsobjekt“ geführt. Mit dieser Charakterisierung beschrieb gestern der Berliner Datenschutz-Beauftragte Hans Joachim Kerkau vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß zum Verfassungsschutz das Motiv der Geheimdienstler, sich über Jahre hinweg mit der taz zu beschäftigen. Allein die Sachakte über die taz sei so umpfangreich, „daß ich sie nicht tragen kann“, erläuterte Kerkau auf entsprechende Fragen des Ausschusses. Das gesamte Material umfasse bisher 35 Bände. Die taz, so Kerkau weiter, ist für das Berliner Landesamt für Verfassungschutz (VS) so etwas wie „ein Synonym für eine verfassungsfeindliche Organisation, Partei etc.“ und würde weniger als Zeitung betrachtet. Deshalb hätte der VS sich von Anfang an für die Personen interessiert, „die die Gründung der taz herbeigeführt haben“. „Die hätten“, so Kerkau, „eine Eisdiele gründen können und wären auch beobachtet worden“.

Kerkau, der als Zeuge zu dem gesamten Komplex „Beobachtung von Journalisten durch den Verfassungsschutz“ geladen war, erläuterte dann im einzelnen, wie und in welchem Umfang er diesen Vorwurf bislang überprüft hat. Danach ist er in 93 Fällen von sich aus tätig geworden. Das heißt, er hat bei 93 ihm namentlich bekannten Journalisten von unterschiedlichsten Berliner Medien geprüft, ob sie im NADIS-Computer des VS gespeichert sind. Dabei hätten sich 12 Treffer ergeben, allerdings nur in einem Fall wegen der publizistischen Arbeit des Betreffenden. Weiter sei er 19 Beschwerdefällen nachgegangen, davon 18 von taz –Mitarbeitern. Sechs dieser taz-Mitarbeiter seien beim Amt gespeichert. Außerdem hätte er die Akten von weiteren sechs Juornalisten überprüft, von denen es bereits in der Öffentlichkeit geheißen hatte, sie seien beim VS erfaßt. Bei diesen 25 überprüften Personen seinen ihm vier taz –Journalisten aufgefallen, deren „Vorgang“ allein deshalb angelegt worden sei, weil sie ein Arbeitsverhältnis bei der taz aufgenommen hatten.

Die jetzige Zeugenaussage Kerkaus ist für den Datenschutzbeauftragten eine Art Zwischenbericht über einen noch nicht abgeschlossenen Prüfungsvorgang. Aus Kapazitätsgründen hätten er und seine Mitarbeiter die Akten noch nicht richtig durcharbeiten können, insbesondere seien sie noch nicht den vielfätligen Querverweisen zwischen „Personalvorgängen“ und Sachakten nachgegangen. Außerdem wollte Kerkau nicht ausschließen, daß außer den in NADIS verzeichneten noch weitere Akten, sogenannte „Altlasten“, existierten. Eine genaue Revision der Bestände des Landesamtes sei überfällig, häufig hätte er den Eindruck gehabt, daß Vorgänge längst hätten gelöscht werden müssen.

Die Existenz der Sachakte bestätigte auch der ehemalige VS –Chef Natusch. Im geheimen Teil der Sitzung erklärte er weiter, daß zum damaligen Zeitpunkt über alle taz –Journalisten auch „Personal-Vorgänge“ angelegt wurden. Vor dem Einsatz von V-Leuten habe aber die Leitung des VS in Absprache mit dem Innensenator Lummer zurückgeschreckt. Der „Verdacht“ gegen die taz habe bis zum Ende seiner Amtszeit, 1985, auch nicht ausgeräumt werden können, weil dazu der Einsatz von V-Leuten nötig geween wäre.

Wesentlich unergiebiger verlief dagegen die mit Spannung erwartete Vernehmung der beiden Ex-Innensenatoren Heinrich Lummer (CDU) und Peter Ulrich (SPD). Das Wissen der beiden Berliner Spitzenpolitiker über die Vorgänge beim VS zu ihrer Amtszeit wird überwiegend durch Erinnerungslücken geprägt. Den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses stand zur Nachfrage zudem nur ein Teil der Akten des Berliner Landesamt zur Verfügung. Trotz Urlaubssperre und Überstunden haben es die VS-Mitarbeiter immer noch nicht geschafft, die bereits für den 15.Dezember letzten Jahres zugesagten Akten vorzulegen.

Der frührere SPD-Innensenator wollte auf die Frage, ob das Projekt tageszeitung zu seiner Amtszeit (1977 – 1982) als „Beobachtungsobjekt“ angesehen und entsprechend die Mitarbeiter überwacht wurden, eine derartige Weisung ausschließen. Der routinierte Ausschußzeuge Heinrich Lummer glänzte auch hier mit einem schlichten: „Daran kann ich mich nicht erinnern.“ Auch in der Frage, ob sie Kenntnis von einem V-Mann in der Redaktion oder in einen anderen Bereich der Zeitung gehabt hätten, beriefen sich beide auf mangelndes Erinnerungsvermögen. Dem VertreterVertreter der Berliner Alternativen Liste, Wolfgang Wieland, hatten dagegen in den letzten Wochen drei Mitarbeiter des Landesamtes übereinstimmend berichtet, daß bereits in Anfangsphase der taz ein V-Mann eingeschleust worden sei. Diesen soll Ulrich in seiner Amtszeit „abgeschaltet“ haben. Ebensowenig wie sich Ulrich an die „Abschaltung“ erinnern konnte, wollte sich Lummer daran erinnern, eben diesen Verbindungsmann in seiner Amtszeit nach 1981 wieder „reaktiviert“ zu haben. Auch das hatten die VS-Mitarbeiter berichtet. Auch die vom Datenschützer Kerkau ausführlich beschriebene Sachakte „taz“ haben die Ex –Senatoren aus dem Gedächtnis verloren. Nicht ausschließen wollten sie aber, daß die Ausgaben der taz vielleicht doch ausgewertet worden seien und einzelne Journalisten in den Dateien des VS gespeichert wurden. Ulrich erklärte, er habe nur in Einzelfällen Kenntnis davon, daß Personen wegen Verfassungsfeindlicher Bestrebungen beoachtet worden wären, „die später auch Journalisten wurden“.

Ulrich wurde vor dem Ausschuß auch eine Akte vom 18.2November 1980 vorgelegt, in der unter einem Foto der damals gegründeten Berlin-Redaktion der taz der Vermerk angebracht ist: „Personen, soweit möglich und nicht geschehen – NADIS“. Der Ex-Innensenator vermutet daraufhin, gegen die mit einem Sternchen versehenen Fotografierten hätte „ein anderer Grundverdacht bestanden“.