Ein Tülpchen überreicht von Walter Momper

■ Mit dem Spitzenkandidaten der SPD drei Stunden unterwegs beim Klinkenputzen in Neukölln / Mobilisierung der Unentschlossenen / Kugelschreiber, Bonbons und Blumen fürs Wahlvolk / „Die Popularität von Diepgen habe ich nicht“

Mit hochgezogener Stirn blickt ein Mann auf die drei Schmuckurnen im Schaufenster des Bestattungsgeschäftes Aternitas. In der rechten Hand hält er einen Strauß Blumen. Er preßt seine Lippen zusammen und steigt die zwei Stufen zur Tür hinauf. „Die letzte Umfrage war zu schlecht für Walter - jetzt läßt er sich begraben“, scherzt Frank Schmidtschen, der Vorsitzende der Jungsozialisten (Jusos) Neukölln. Aber die Tür ist allerdings verschlossen.

Walter Momper, der Spitzenkandidat der SPD, besucht die Geschäfte in seinem Neuköllner Wahlkreis II. Er ist hier als Abgeordneter nominiert. Am Donnerstag, den 5.Januar, beginnt er um 9 Uhr seinen dreistündigen Spaziergang durch den Kiez in der Sonnenallee. Zusammen mit der Kreisvorsitzenden der SPD-Neukölln Renate Appich, dem Vorsitzenden der hiesigen Jusos Frank Schmidtschen und zwei weiteren SPD-Mitgliedern verteilt er Wahlwerbung und kleine Geschenke: Bonbons für die Kinder, Kugelschreiber für die Herren und für die Damen

-Tulpen. „Wer lehnt schon eine unschuldige Tulpe ab. Walter Momper vielleicht, aber eine Tulpe?“ erläutert Renate Appich die Strategie. In der Schlußphase des Wahlkampfes kommt es darauf an, die hohe Zahl der Unentschlossenen zur Wahl zu mobilisieren, sagt der SPD-Wahlkampfleiter Nagel auf einer Pressekonferenz zu Anfang des Jahres.

Der Spitzenkandidat verläßt ein Neuköllner Teppichgeschäft und geht zielstrebig auf ein älteres Ehepaar zu: „Sie kennen mich sicherlich schon, aber ich möchte mich trotzdem einmal persönlich vorstellen: Momper ist mein Name.“ Schwerfällig streckt er indes dem Mann seine hängende rechte Hand zum Gruß entgegen und gibt ihm einen Kugelschreiber: „Damit Sie nicht vergessen, am 29. ist Wahl!“ Der Frau überreicht er eine Tulpe: „Darf ich Ihnen ein Tülpchen von der SPD geben?“ Aber die Passantin meint, daß andere Wähler die Blume dringender bräuchten. „Sie können die Tulpe zurückhaben. Ich gebe Ihnen sowieso meine Stimme.“

Die Neuköllner bestätigen ihn aus unterschiedlichen Motiven. Ein Mann kommt vorbei und fragt: „Kriege ick auch 'ne Tulpe? Ick geb‘ Ihnen auch meine Stimme!“ Ein anderer verspricht sein Wahlkreuz, wenn West-Berlin dann nicht Hauptstadt der DDR werde. Ein Transvestit möchte eine Blume und einen Kuli - „Für jede Seite etwas.“

Beim Weitergehen meint Momper: „Die alten Leute erkennen mich sofort, weil sie öfter fernsehen. Aber da war eine junge Frau, die guckte so komisch - da sagte ich, ich will ihr ja nichts verkaufen.“ Damit beschreibt er einen Ausdruck, den viele Passanten im Gesicht haben, wenn er sich vorstellt.

Wahlkampf ohne Gesicht

Die SPD führt erstmalig keinen personenbezogenen Wahlkampf. Deswegen gibt es in den Bezirken keine Plakate, auf denen ihr Spitzenkandidat zu sehen ist. Auch im Wahlprogramm ist er weder erwähnt noch abgebildet. Walter Momper selbst sieht darin keinen Wahlkampffehler. Er ist der Ansicht, daß die große Zahl der Unentschlossenen stärker durch die Inhalte der SPD angesprochen werden als durch ein Foto seiner Person. Auf die Frage, ob unentschiedene Wähler einen Kandidaten zum Bürgermeister bestimmen, von dem sie sich keine bildhafte Vorstellung machen können, entgegnet er: „Was wollen Sie eigentlich? In der heutigen 'BZ'-Umfrage liege ich bei 40 Prozent und Eberhard Diepgen bei 53 Prozent.“ Damit sei klar, daß die SPD einen erfolgreichen Wahlkampf geführt habe und die Berliner ihn kennen. Die Popularität eines Eberhard Diepgen habe er allerdings nicht.

Der Spitzenkandidat setzt seinen Spaziergang durch den Kiez fort. Seine Haltung ist leicht gebeugt. Von einem Plakat aus lächelt ihm ein blonder Mann entgegen: „Ihn braucht Berlin und keinen Schnee von gestern!“

Peter Pawlak