Ansichten ohne Einsichten: "Der tote Baum - Das kleine Fernsehspiel"

(Der tote Baum - Das kleine Fernsehspiel, 10.1., 22 Uhr 40, ZDF) Ein Schiffsdeck, eine Wand, eine Straße, immer wieder das Meer, der Strand, ein Tal - die wahren Hauptpersonen dieses Films sind die Dinge, die Landschaften. Die Menschen, sofern sie nicht selbst zum Prospekt werden, passieren. Erst ist da die Treppe, jemand geht hinab; was nach mindestens 20 Sekunden bleibt, ist die Treppe. Ab und zu erwacht das Interesse für den Passanten, er wird beleuchtet, seziert und wieder verlassen. Flüchtig schön reiht sich Augenblick an Augenblick. Ansichten. Einsichten?

Zwei Menschen, die sich suchen, ohne es zu wissen. Der tote Baum erst führt sie wirklich zueinander. Nein, es gibt keine Einsichten, der Schauplatz, das Innere, wird durch die banalen Gedankensplitter und Explikationen nicht einsichtig. Aber das ist auch nicht wichtig. Der Regisseur Joseph Morder reiht Bilder aneinander, die keinen Kommentar brauchen. Bilder, die durch sich selbst leben und nur ab und zu durchquert werden müssen. Morder greift in der Motivik ganz nach oben und wählt das Größte, das Eleganteste, das Tragischste. Und die amateurhafte Aufnahmetechnik, an der er auch nach dem 300.Film noch beharrlich festhält, macht es möglich. Er bewältigt diese Superlative durch die rührend unbeholfene Sicht eines Hobbyfotografen, zerstückelt sie und dringt zugleich ganz tief in sie ein.

Wo Morder beobachtet, ist er groß. Aber sobald er selbst Handlung forciert, wird es nur noch ärgerlich. Politische Umwälzungen in Südamerika lassen sich nicht am Rande mitnehmen, zumal das einzig Relevante wiederum nur das Vorüberziehen ist, der Aufbruch, der folgt.

Die Straße aus Gischt, das immer wieder neu erzählte Gehen und Stehen, das ohne Eile dokumentiert, ja ausgekostet wird, spricht eine viel glaubhaftere Sprache als der Blick des übernächtigten Paares auf ein Flughafengebäude.

Von den Möglichkeiten zur technischen Perfektion hat sich Morder bei seiner ersten Fernsehproduktion - dem Himmel sei Dank - nicht verführen lassen, offenbar aber von einem pseudo-gesellschaftskritischen Anspruch, den man gemeinhin mit dem Fernsehspiel verbindet. Doch da er diesen, fast wie nachträglich, nur mangelhaft erfüllt, sollte er in Frage gestellt werden. Was ist überhaupt ein Fernsehspiel? Ein Stück Fiktion im Fernsehen. Mehr nicht.

Also noch einmal: Morders Geschichte der flüchtigen Ewigkeit kämpft noch gegen sich, glaubt nicht an sich und übertüncht daher bereits Gesagtes mit entnervender Geschwätzigkeit. Das Märchen der beiden, die von weither in ihre Landschaft fielen, bräuchte keine äußere Motivation, wie es ihm hier aufgezwungen wird. Im Anfang (vom Ende) war die - Handlung. Leider.

Petra Kohse