„Wir sollten uns nicht total sicher fühlen“

■ Günther Moeser, Siemens-Abteilungsleiter für Firmenaufkäufe, über den Einstieg beim britischen Plessey-Konzern (siehe Tagesthema)

taz: Wird Siemens wieder mal beim Wettlauf um eine geplante Firmenübernahme abgehalftert?

Dr. Günther Moeser: Wir werden abgehalftert...?

...das wäre ja nicht das erste Mal, bei der geplanten Übernahme des französischen Telekommunikationsunternehmen CGCT kam jemand anders zum Zuge, bei der italienischen Italtel kommt es jetzt möglicherweise ebenso.

Die Gefahr, daß uns jemand anderer zuvorkommt, ist im Geschäftsleben immer gegeben. Im Falle CGCT war es ja so, daß wir als deutsche Firma gegen das US-Unternehmen At+T wetteiferten, die sehr viel boten. Und da fanden die Franzosen lieber eine salomonische Lösung, sie ließen lieber Ericsson 'ran nach dem Motto: Schweden paßt immer, Ericsson ist auch ein potenter Anbieter. Man hat uns nicht ausmanövriert, man wollte lediglich nicht zwischen den USA und Deutschland wählen. Wir haben damals nur festgestellt: Es war halt nichts.

Sie sagen, AT+T bot sehr viel. Wenn es ums Bieten geht, müßten Sie doch ganz vorne an stehen. Was wollen Sie denn eigentlich mit ihren Unmengen liquider Mittel in der Kasse: 23 Milliarden Mark? Sind das alles Reserven für mögliche Übernahmen?

Mit Bieten meinte ich weniger den Kaufpreis der Aktien. AT+T konnte mit einem riesigen US-amerikanischen Markt winken, mit über 200 Millionen Menschen, die täglich sehr viel telefonieren.

Aber jetzt zur Kasse: Wir haben sie natürlich nicht aufgebaut, um irgendwann einmal groß zuschlagen zu können. Unsere Devise lautet, dann einzusteigen, wenn wir einen lukrativen Markt sehen. Die 23 Milliarden sind nun aber kein homogener, liquider Block. Wir haben auf der einen Seite über zehn Milliarden Pensionsverbindlichkeiten, dieser Betrag kann also nicht in irgendwelchen Anlagen vergraben werden. Wenn sie all dies herausnehmen, ist die so hohe Liquidität nur mehr halb so hoch. Denken wir in strategischen Größen, dann wäre die Liquidität natürlich so hoch wie der Betrag, den uns die Banken leihen würden, und Banken geben ja immer denen gerne Geld, die welches haben. Das wissen Sie selbst.

In der Tat.

Wir haben also ein großes Kreditpotential, uns aber bisher von großen Firmenübernahmen zurückgehalten...

...beziehungsweise Sie wurden zurückgehalten.

Richtig, auch das. Wir wollten einmal in den USA die Firma Allan Bradley übernehmen, die ähnlich fortschrittliche Fabrikautomatisierungen anbietet wie wir und entsprechend groß im US-Markt steckt. Die Angebote mußten im verschlossenen Umschlag abgegeben werden, und da haben wir leider um 150 Millionen Dollar zu wenig geboten.

Wir haben uns also bemüht, aber auch Erfolge vorzuzeigen: Das Byte-Geschäft der GTE in den USA haben wir für 500 Millionen Dollar übernommen, ebenso wie eine Autoelektronik -Firma für 300 Millionen mit Aktivitäten in Frankreich, USA, Brasilien und Südkorea.

Gerade USA und Südostasien sind doch die Regionen, in denen zur Zeit fast jede Firma investiert, Siemens aber nach wie vor recht dünn vertreten ist. Statt dessen versuchen Sie jetzt, sich im abgegrasten Großbritannien einzukaufen.

Der US-Markt wird von uns seit einigen Jahren nicht mehr vernachlässigt. Wir haben dort jetzt drei Milliarden Dollar Jahresumsatz und 27.000 Beschäftigte. Zugegebenermaßen sind wir in den USA ein Spät-Einsteiger, aber: „Better late than never“. In Korea haben wir bisher noch sehr wenig, aber dort wollen wir jetzt den Zug nicht versäumen.

In England sind wir bis heute eindeutig unterrepräsentiert, genauso wie in Amerika, auch wenn wir in Großbritannien heute schon fertigen. Vor etwa sieben Jahren haben wir „Ferranti Measurement“ gekauft, einen Zähler-Hersteller. Wir haben ferner eine eigene Company, über die wir Telefonnebenstellen-Technik vertreiben. Auf dem medizinischen Gebiet sind wir dort sehr erfolgreich, wie auch in der Produktion der Bild-Übermittlung oder etwa der Studio-Elektronik.

Ihre Aufzählung zeigt ein ziemlich breites Spektrum. Da dürfen Sie sich ja nicht wundern, wenn die Presse schreibt: Alle Welt spezialisiert sich, nur Siemens fährt in voller Breite geradeaus. Wo ist denn da der rote Faden in Ihrer Konzernpolitik?

Unser roter Faden ist die Konzentration auf einige wichtige Gebiete, die technologisch besonders zukunftsträchtig sind: Bauelemente, die Components, die sind in Plesseys Palette. Dann die Telekommunikation, unser Hauptziel im Plessey-Deal

-öffentliche Fernsprech-Vermittlungstechnik.

Die Weltmärkte für öffentliche Vermittlungstechnik sind weitestgehend verteilt. Heute gibt es zwölf Anbieter, im Jahre 2000 werden es mit ziemlicher Sicherheit nur mehr sechs oder sieben sein. Da möchten wir natürlich mit dabei sein. Deshalb versuchen wir, die Anwendung der Siemens -Technik so breit zu gestalten, daß wir die Entwicklungskosten für die künftige Technik (heute bereits zwei Milliarden Dollar) auf eine genügend große Anzahl von Anschlußeinheiten verteilen können. Wenn wir das nicht schaffen, kommt der Tag für Siemens, wo es heißt: Sie haben mit der Zeit nicht Schritt gehalten. Dem vorzubeugen gilt unser Schritt in Richtung Plessey. Und in diesem Sinne wollen wir auch in Italien einsteigen.

Aber da werden Sie ja vielleicht wieder von ihrem alten Konkurrenten AT+T ausgestochen.

Da sehen Sie, wie leicht unser Leben ist.

Wenn nun GEC mit ihren 157.000 Beschäftigten mal eben zur Disposition für einen takeover steht, hat denn da nicht auch der Leiter der Akquisitionsabteilung von Siemens Angst davor, daß sein eigener Großkonzern selbst akquiriert wird?

Oh ja. Wir sollten uns nicht total sicher fühlen. Ein Hinderungsgrund ist sicherlich, daß bei uns das Management einer Firma, selbst wenn diese mehrheitlich über Aktien übernommen worden ist, nicht sofort beliebig austauschbar ist. Außerdem gestattet die deutsche Mitbestimmung einem Übernehmer nicht, sein neuerworbenes Unternehmen in der höchstprofitablen Weise auseinanderzureißen.

Dann hätten Sie ja seinerzeit sehr für das Mitbestimmungsgesetz kämpfen müssen.

Nun ja, wir sind gar nicht so böse darüber.

Wenn die Zerstückelung übernommener Firmen in Großbritannien leichter ist, was würden Sie denn im Zweifel mit Plessey anfangen?

Wir haben in unserem Angebot detalliert dargestellt, wie wir Plessey fahren wollen. Wenn wir zum Zuge kommen, wird das Unternehmen völlig unbehelligt gelassen.

Interview: Ulli Kulke