Nach der Nordsee stirbt jetzt die Ostsee

Ohne große Resonanz in der Öffentlichkeit stirbt die „Baltic Sea“ langsam vor sich hin / Erste Internationale Ostsee-Konferenz in Kopenhagen / Konferenz der Sozialdemokraten und Sozialisten aus Europa / Delegierte aus Polen waren nicht vertreten  ■  Aus Kiel Jürgen Oetting

Robbensterben und Algenpest - das Jahr 1988 brachte alarmierende Schlagzeilen über den ökologischen Zustand der Nordsee. Die Ostsee dagegen war für die Gazetten kaum ein Thema, nur gelegentlich wurden regional begrenzte Umwelt -„Störfälle“ gemeldet. So waren im vorigen September plötzlich die Badestrände zweier schleswig-holsteinischer Buchten - vor Eckernförde und Neustadt - mit Zehntausenden von Fischkadavern übersät. Der Grund des Massensterbens war offenkundig: Nährstoffüberdüngung.

Doch die zerstörerischen Folgen der Überdüngung sind längst kein regionales Problem mehr. Ein ökologisches Gleichgewicht der „Baltic Sea“, wie die Ostsee in der internationalen Schiffahrt heißt, gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Die Nordsee ist in einem vergleichsweise komfortablen Zustand. Die Überlebenschancen für Meerestiere sind in der zentralen Ostsee, dem Gewässer zwischen Schleswig-Holstein und Estland, nur noch minimal. Ringelrobben, Kegelrobben und Seehunde sind vom Aussterben bedroht. Der einzige Ostseewal, der „kleine Tümmler“, ebenfalls.

Die Fangerträge der Ostseefischer gehen dramatisch zurück. In Küstennähe sterben selbst „niedere“ maritime Tierarten, die sehr widerstandsfähig sind: Würmer, Muscheln, Krebse, Schnecken und Seesterne. Nur in der nördlichen Ostsee, dem Bottnischen Meerbusen zwischen Finnland und Schweden, sieht es nicht ganz so arg aus.

Für die verantwortlichen Politiker aus den Anrainerstaaten ist es also höchste Zeit zu beraten, wie das endgültige biologische Umkippen des Meeres noch zu verhindern ist.

Anfang dieser Woche trafen sich 120 Delegierte aus BRD, DDR, Dänemark, Schweden, Finnland und Sowjetunion zur ersten Internationalen Ostsee-Konferenz in Kopenhagen. Dort rief Schleswig-Holsteins parteiloser Umweltminister Berndt Heydemann zu einer Sofortaktion zur Rettung der Ostsee auf und forderte ein „internationales gläsernes Wasserbuch“ zur gegenseitigen Kontrolle giftiger Einleitungen. Bis 1995 müsse der Phosphat- und Stickstoffeintrag um 50 Prozent reduziert sein, sonst habe die Ostsee keine Überlebenschance mehr. Die Anrainerstaaten benötigten einen wissenschaftlichen Gedankenaustausch, um allgemeingültige Definitionen für die Wasserqualität und wirksame Reinigungstechniken entwickeln zu können.

Der Weg zu einer Gesundung der Ostsee kann nach Auffassung des Kieler Umweltministers bereits im Hinterland durch eine anspruchsvolle Abwassertechnik beginnen, die Phosphate und Nitrate weitgehend vernichtet. Außerdem müßten die Küstenstreifen wieder mit großen überschwemmungsfähigen Flächen ausgestattet werden, um eine Zurückhaltung von Nähr und Schwebstoffen aus dem Wasser zu erreichen. Entscheidend sei auch ein agrarpolitischer Ansatz zur Reduzierung des Düngemitteleinsatzes in der Landwirtschaft. Der Minister schlug weiter die Schaffung von Ruhe- und Regenerationszonen im Küstenbereich vor, in denen die Ökosysteme zu einer Selbstregulierung zurückfinden könnten. Diese Gebiete hätten darüber hinaus einen ökologischen Demonstrationscharakter.

Der Beifall für Heydemanns Anregungen konnte nicht über zwei Schönheitsfehler der Konferenz hinwegtäuschen. Es war kein Treffen auf Regierungsebene, sondern von den sozialistischen und sozialdemokratischen Fraktionen des Europaparlaments organisiert worden. Die Diskussionsergebnisse haben folglich keinen Einfluß auf administrative Maßnahmen der Anrainerstaaten.

Deren multinationale Abmachungen waren bisher ohnehin keinen Pfifferling wert. Die 1974 von allen sieben Anliegerstaaten unterzeichnete Konvention zum Schutz der maritimen Umwelt blieb - der aktuelle Zustand der Ostsee beweist es - folgenlos. Außerdem war kein polnischer Delegierter nach Kopenhagen gereist. Das wertete die Bedeutung des UmweltschützerInnentreffens erheblich ab, denn von den gut eine Million Tonnen Stickstoffverbindungen und Phosphaten, die jährlich in das Meer schwemmen, stammt beinahe die Hälfte aus Polen. Der Schadstoffeintrag an der Weichselmündung in der Bucht von Gdansk ist mörderisch.

Es sind aber nicht allein Phosphate und Stickstoffe, die das Leben im Baltischen Meer vernichten. Die Ostsee muß DDT und PCB schlucken, Cadmium und Quecksilber, Nickel und Kupfer. Sieben Industriestaaten sorgen für ständigen Nachschub. Dabei ist das Binnenmeer Ostsee gegenüber Vergiftung und Überdüngung weitaus empfindlicher als die Nordsee.

Darüber hinaus ist die Ostsee viel flacher als ihre Schwester im Westen, und sie ist weitgehend isoliert. Der Wasseraustausch über die Belte zwischen den dänischen Inseln ist relativ dürftig. Der Dreck, der in die Ostsee fließt, bleibt endgültig drin.