Bundeswehr entzweit Union

Heftiger Streit in der CDU/CSU über Tiefflüge und Wehrdienstzeit / Kohl stellt sich hinter Scholz / Rüffel für stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Rühe und CSU-Mann Biehle / Scholz vor CSU-Klausurtagung  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Was die Bundeswehr brauche, müsse sie bekommen, versicherte Bundeskanzler Kohl gestern auf seiner ersten Pressekonferenz im neuen Jahr. Was die Bundeswehr braucht, ist aber gegenwärtig in der Union mehr als umstritten. Uneins sind sich die CDU/CSU-Politiker sowohl über die Frage der Tiefflüge, der Wehrdienstverlängerung als auch der anstehenden Kurzstreckenmodernisierung. Der Streit ist so hochgekocht, daß er den Parteivorsitzenden Kohl nötigte, ein von ihm im allgemeinen vermiedenes klares Wort zu sprechen. „Populismus ist das letzte, was die Bundeswehr zur Erfüllung ihrer Aufgaben braucht“, kanzelte Kohl die Parteifreunde in einem Gespräch mit der 'Welt‘ ab: „Einige derer, die das große Wort führen, gefallen sich in Kritik an der Verteidigungspolitik oder an bestimmten Maßnahmen, weil sie hoffen, damit bei den jungen Leuten anzukommen. Die Haltung der CDU ist das nicht. Und wer glaubt, er habe damit in der Partei eine Karrierechance, der wird bitter enttäuscht werden.“

Gemeint sind mit der Schelte neben einer Reihe von Unionsabgeordneten, die sich mit Schnellschüssen zur Tiefflugreduzierung hervortun, vor allem der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Rühe und der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Biehle (CSU). Rühe hatte eine Halbierung der Tiefflüge innerhalb von zwei Jahren für möglich gehalten und dafür von Tiefflugminister Scholz Schimpfe bezogen. Biehle verlangt die Einstellung der Tiefflüge zwischen 75 und 150 Metern in den sieben Tieffluggebieten der Bundesrepublik. Es gehe nicht um eine Neuverteilung dieser Tiefflüge, sondern um ihre Abschaffung, redete Biehle Klartext. Außerdem fordert er, die 1986 beschlossene Verlängerung der Wehrdienstzeit von 15 auf 18 Monate zurückzunehmen. Biehle ist sich mit der SPD einig, die Sollstärke der Bundeswehr zu senken.

Der bereits mehrfach von der CDU/CSU-Fraktion düpierte Scholz wird von Biehle zum Erfüllungsgehilfen degradiert. „Es besteht kein Anlaß, den Kopf von Scholz zu fordern“, formulierte Biehle listig, „aber wir können uns nicht mit einem Hinwarten des Verteidigungsministers zufrieden geben. Es muß nun rasch entschieden werden.“ Scholz hingegen beharrt auf der Wehrdienstverlängerung ebenso wie auf der Unverzichtbarkeit von Tiefflügen. Außerdem preschte er in der Frage der Kurzstreckenraketen vor. In einem Interview der 'Bunten‘ verlangte er ultimativ die Modernisierung der Kurzstreckenwaffen und schloß eine „dritte Nullösung“ aus. Bei dem letzten Punkt berief er sich ausdrücklich auf die Unterstützung Kohls. Der Kanzler hatte über den seit seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr im steten Trudeln befindlichen Minister zwar noch einmal den großen Schutzschirm gespannt. „Er bekommt von mir jede Unterstützung“, ließ Kohl in der 'Welt‘ seine Parteifreunde wissen. Doch hier mußte er sich von seinem Verteidigungsminister distanzieren. Die Erörterung dieser Frage sei „überhaupt nicht nützlich“.

Auch wenn Kohl in seiner Neujahrs-Pressekonferenz über okkupierte Allgemeinplätze - wir wollen „Frieden schaffen ohne Waffen“ - nicht hinausging, beschäftigt der Konflikt die Union. Für den 17.Januar ist ein Koalitionsgespräch mit der FDP angesetzt, bei dem die strittigen Fragen auf den Tisch kommen werden. Für den heutigen Donnerstag wird sich Verteidigungsminister Scholz vergeblich den breiten Rücken von Kohl ersehnen. Bei der Klausurtagung der CSU in Wildbad Kreuth, wo Scholz Gast ist, will die CSU die ganze Themenpalette diskutieren, drohte Biehle an.