: Mikrochip-Roulette in Europa
■ Begehrt bei internationalen High-Tech-Konzernen: britische Elektrokonzerne
Mikrochip-Roulette in Europa Begehrt bei internationalen High-Tech-Konzernen: britische Elektronikkonzerne / Aus London Rolf Paasch
Siemens will den Einstieg in den britischen Telekom-Markt, der US-Elektronikgigant General Electric möchte einen Brückenkopf im europäischen Haushaltsgerätegeschäft errichten, und die britischen Elektronikunternehmen wollen einfach nur überleben – möglichst mit einem Partner, der die lebenswichtige Halbleitertechnologie liefern kann. Europas Elektronikindustrie wird nach den jetzt in London versuchten Fusionen anders aussehen. Ob auch effizienter, das ist die große Frage.
Was ein „Pacman“ ist, weiß in den Vereinigten Staaten jedes im Videospiel versierte Kind. Das ist, wenn der Verfolgte oder Verlierer sich plötzlich neue Helfer oder Mitspieler sucht und zur Jagd auf den Jäger ansetzt.
Seit Ende letzter Woche müssen sich auch die Finanzexperten in der Londoner City mit den Regeln des amerikanischen Videospiels vertraut machen. Denn „Pacman“ wird jetzt auch im kapitalistischen Kasino der Londoner Börse gespielt. Mehr oder minder finanzkräftige Konzerne machen den Aktionären anderer Konzerne Angebote, ihre Anteilscheine zu einem guten Preis zu übernehmen. Auch und gerade gegen den Willen des Managements sollen gigantische Firmenimperien wie GE mit 157.000 Beschäftigten den Besitzer wechseln (“feindliche take-over“).
Es hatte vor sechs Wochen damit begonnen, daß GEC, Großbritanniens größter Elektronikkonzern, diesmal zusammen mit der bundesdeutschen Siemens AG erneut den Versuch unternahm, den einheimischen Konkurrenten Plessey zu übernehmen. GEC liebäugelt mit dem Know-how und den connections in die Vereinigten Staaten von Plessey in der Rüstungselektronik, und Siemens verspricht sich von der Übernahme einen Einstieg in den weitgehend liberalisierten britischen Telekom-Markt. Mit einem kombinierten take-over, so dachten sich GEC und Siemens, seien die Einwände der Wettbewerbshüter in London und Brüssel eher zu entkräften.
Doch konnten die anderen Spieler dieser Regruppierung in der europäischen Elektronikbranche vor Errichtung des Binnenmarktes nicht einfach tatenlos zuschauen. GEC, wegen der umstrittenen Unternehmenspolitik seines langjährigen Chefs Lord Weinstock und seines Kassenbestandes von 1,4 Milliarden Pfund eigentlich heftig kritisiert, stand schon seit einiger Zeit auf den Einkaufslisten einiger diversifizierender Multis, also solcher, die auch in andere Branchen einsteigen wollen.
Doch jetzt, wo die sich anschickende Übernahme Plesseys GEC unverwundbar gemacht hätte, wurde es für die anderen Interessenten höchste Zeit. So rückte denn die britische Investment-Bank Lazard Brothers am vergangenen Samstag damit heraus, daß sie mit der Bildung eines Konsortiums zur Übernahme GECs beschäftigt ist. Nachdem British Aerospace, Olivetti, Matra, Fiat und AEG abgewunken hatten, kamen schließlich der französische Rüstungskonzern Thomson, das britische Computer- und Elektronikunternehmen STC und der US –Konzern General Electric (GE) zusammen, um unter der Leitung von Plessey den Verfolger GEC zu übernehmen – und anschließend zu zerstückeln.
Thomson will sich die GEC-Rüstungstochter Marconi einverleiben, STC möchte einen Anteil an der Telekom-Tochter GPT, die GEC und Plessey noch zusammen gehört, und GE würde sich in der Abteilung für Elektrogeräte bedienen. Der Rest soll an der Börse zum Verkauf angeboten werden, um das mit sieben Mrd. Pfund (22,5 Mrd. DM) bisher teuerste take-over in der britischen Börsengeschichte zu finanzieren.
Daß die britische High-Tech-Industrie jetzt im Anlauf zum europäischen Binnenmarkt zum Objekt von Übernahmeversuchen wird, ist kein Zufall – sie ist angeschlagen. Im Gegensatz zu Thomson und Siemens, die kostspielige Langzeitinvestitionen in die Halbleiter- beziehungsweise Mikrochip-Technologie getätigt haben, sind die Briten vor solchen Ausgaben auf Druck ihrer Dividenden-hungrigen Aktionäre immer zurückgeschreckt.
Ob die abgeleiteten Fusionsanstrengungen unbedingt mit industrieller Logik gleichzusetzen sind, ist allerdings mehr als fraglich. Daß mit Siemens und GEC ausgerechnet zwei Konzerne, deren Managements als verschlafen und unflexibel gelten, die Geschäfte Plesseys besser führen wollen, wird von einigen Analytiker als ein schlechter Witz angesehen. Und selbst GE traut dem von Lazard Brothers ad hoc zusammengestellten Konsortium, dessen Mitglied es schließlich werden will, so wenig zu, daß es sich die Möglichkeit offenhält, GEC am Ende unter eigener Führung mit einem alternativen Konsortium zu übernehmen. „Die britische Industrie“, so kommentiert denn auch die 'Financial Times', „wird hier nicht so sehr aufgrund von Kriterien industrieller Logik, sondern nach dem Geschmack der Finanziers restrukturiert.“
Wie im Roulette werden auch in diesem Fusionsspektakel die als Vermittler mitverdienenden Banken als einzige Beteiligte mit (fast) sicherem Gewinn aus dem Börsenspiel hervorgehen. Es sei denn, die Croupiers greifen doch noch ein. Seitdem die Pläne für die feindliche Umkehr-Übernahme von GEC bekannt sind, ruft eine politische Koalition aus arbeitsplatzbesorgten Gewerkschaftern und Labourpolitikern sowie um die nationale Sicherheit fürchtenden Konservativen lautstark nach dem Eingreifen der Regierung. Denn mit dem Aufbrechen von GEC würde immerhin der größte industrielle Konzern Großbritanniens zerstört, dem in den wichtigen Bereichen von High-Tech, Rüstungselektronik, Telekommunikation, Kraftwerksbau und Mikroelektronik strategische Bedeutung zukommt.
Die US-Beteiligung an dem Konsortium würde dazu noch peinliche Erinnerung an die Westland-Affäre von 1986 wecken, als der politische Streit um die amerikanische oder europäische Kontrolle der letzten britischen Helikopterschmiede zum Rücktritt zweier Minister und beinahe sogar zum Sturz der Regierung Thatcher geführt hätte. Allein deswegen wird dieselbe heute den Fall mit Sicherheit an die Kartellbehörden weiterleiten.
Wie die allerdings am Ende entscheiden wird, ist so offen wie der Lauf der Roulettekugel.
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