Unerträgliche Langsamkeit des Seins

■ Zur bleierner Zeit um 1919 in Österreich: „Brennendes Geheimnis“, 106-Minuten- Opus des Jane-Birkin-Bruders Andrew mit Faye Dunaway und Klausmariabrandauer

Möge seine Karriere, die so gut begann, weiterhin gedeihen.

(Spezielle Erwähnung der Jury der 45. Biennale von Venedig für David Eberts)

Das trifft. Der ganz Film hat in etwa diesen Tonfall voll möge und gedeihen. Das mag daran liegen, daß „Brennendes Geheimnis“ 1919 in Wien und umliegenden Kurorten kokelt, weshalb, wenn sich der feiste 106-Minuten-Film schon keine rechte Handlung aus Herrn Zweigs gleichnamiger Novelle abtrutzten darf, man wenigsten einen hübschen Kostümfilm draus machen kann: in „flaschengrün, matrosenblau und rubinrot“, sagt 10-Jahre-für-Fassbinder-Kostüme-Entwerferin Barbara Baum, und vor „ziemlich morbidem Hintergrund“, ergänzt Blechtrommel-Ausstatter Bernd Lepel. Frau Baum und Herr Lepel haben fürs Brennende Dekor '88 in Venedig sofort die „Osella“ bekommen. Das gibts in Venedig fürs Dekorative.

Weshalb Herr Andrew Birkin, seines Zeichens bestimmt talentierter Regisseur, Drehbuchautor („Name der Rose“) und Bruder von Jane, allerdings solch brennendes Bedürfnis hatte, den ganzen schmalen Novellenplumquatsch minutenrundlich ins Bild zu setzen, bleibt definitiv sein Geheimnis. Der Film trödelt flockeweich und voll markanter Wangenknochen (Faye Dunaway) durch den österreicherischen Kurwald zwischen Winterpalace-Hotel und Sanatorium zur schneesicheren Variante der bestimmt immer noch hochbrisanten Som- mer-in-dem-der-Junge-zumMann

-wird-Geschichte. „Ich bin nicht übermäßig begeistert davon“, sagt Herr Birkin zum Ziel-Zustand solch petermaffaygeprüfter Entwicklung, „ich denke, die beste Zeit ist die im Alter von zwölf Jahren.“ Das denken wir nicht.

Die Handlung zum Werk: Sonya Tuchmann (Faye Dunaway, wie stets mundschön und gerade eben zickig) und Sohn Edmund (David Eberts, zwölf gelobte Jahre) fahren zur Kur ins Winterpalace, wo ein Haufen frühgreiser Kümmerlinge nebst Ehefrau bzw. Hetäre der restlos besseren Gesellschaft Bewegung tunlichst vermeidet und gut bestuhlt vom Frühmal ins Nachtmal tappt. Prima Kumpels also für einen zwölfjährigen Asthmakranken, der im Herrn Baron Alexander Maria von Hauenstein (genau, Klaus Maria Brandauer) einen Menschen mit Auto, zweidrei kindgerechten Geschichten (Goethes Erlkönig und eine wirklich spaßige Als-ich -mal-im-ersten-Weltkrieg-war-Blut-und-Tod-Anekdote) und ausreichend Energie für einen Spaziergang findet.

„Der, der das Kind an die Hand nimmt, ergreift die Mutter am Herzen“, geht das dänische Sprichwort, das Herrn Birkin zum Thema eingegeben und sorgfältig spannungsfrei in den Winterwald gefilmt wurde: Der Baron will die Mama und macht Freund für den Knaben, Kleine-Jungen-Herzen brechen zwischen den Tannen, unschuldige Kinderwelten sind dahin wegen solch trügerischen Nichtsnutze von Er

wachsenen. Zum hoteleigenen Sylvesterball bekommen wir als Klimax schließlich die „Affäre“ und den Gatten im schwarzen Morgenmantel.

Klaus Maria Brandauer spielt natürlich wieder Klausmariabrandauer. Das rettet schließlich immer fein oskarverdächtig jede Literaturverfilmung und ist auch diesmal wieder einigermaßen unerträglich: er zuckt und kneifäugelt und grinst und tuschelt und wienerschmäht Zähflüssiges in den Lauf der Zeit. Stilisiert also wie gehabt das ganze belanglose Wortgewechsel unter schräggestellten Augenbrauen mit den immergleichen Bester -Schauspieler-seiner-Theaterklasse-bloß-ordentlich- -übertreiben-Blödheiten zum mephistotelischen Hochsinn. Aber fein gemein wieder.

David Eberts ist tatsächlich ganz erfreulich, weil nicht guck-mal-wie-putzig, nicht rührend und altklug auch nicht, also eine Seltenheit unter Filmkindern. Leider werden ihm per Pressemappe Torheiten in den Mund gelegt wie „Es geht um eine intime Bezwihung zwischen Mutter und Sohn“. So etwas sollten sich Zwölfjährige besser nicht ausdenken. Sie sollten auch nicht über das Phänomen „Einzelkind“ parlieren, sondern sich fragen, ob es in der Eisdiele an der Ecke einen Maraschino-Eisbecher für Kinder gibt, ob Mill wirklich nicht nach Bremen kommt und ob der Michael Jackson Film genauso süß ist wie die blöde Nase.

Petra Höfer

Gondel, 18 und 20.30 Uhr