Das liegt daran, daß nichts passiert

■ Die Ost-Berliner, derzeit in Hamburg lebende Schriftstellerin Monika Maron, („Flugasche“), las und sprach in der Universität rund um ihr letzterschienenes Buch „Die Überläuferin“

Ich muß jetzt wirklich aufhören, in diesem Buch zu schmökern, ich muß jetzt diesen Artikel anfangen. Muß ich. Dabei würde im Grunde reichen, zu sagen, daß Monika Maron, Autorin der „Flugasche“, im Jahr 1988 „Die Überläuferin“ herausgebracht hat, ein oft satirisches Stück Literatur (nach vier Erzählungen und einem Bühnenstück mit dem Titel „Das Mißgeschick“), daß alles bei Fischer für wenig Geld zu haben ist und daß „Die Überläuferin“ außerordentlich spannend ist und unbedingt von mir jetzt weiter gelesen werden will. Aber es ist so, daß die DDR- Autorin Monika Maron seit einem halben Jahr (mit einem langjährig die Rückkehr ermöglichenden Visum) in Hamburg lebt; und als einen von zwei Unterschieden zu ihrem Leben in Pankow hat sie benannt, daß es auf einmal ein Geldproblem gibt. Schon die Miete sei so hoch, was bisher in Hunderten zählte, tut es auf einmal in Tausendern. „Na ja, man kriegt ja

auch Tausender wieder rein,“ sagte sie (übrigens: gestern in der Bremer Uni, das müßte unbedingt in den Artikel rein). Aber die Leute kaufen nicht, woraus man nicht vorliest, hat sie das Gesetz des Literaturwestmarktes entdeckt. (Und, ist leider zu ergänzen, meist auch nicht das Vorgelesene, über das hinterher nicht berichtet wird, egal jetzt mal, warum nicht.)

Berichten wir also endlich. Monika Maron las am Mittwoch nachmittag im Rahmen eines Seminars über neuere DDR Literatur von Prof. Emmerich, ungestört, trotz Streik, wobei etwa fehlende TeilnehmerInnen durch einige externe Neugierige ersetzt worden sein mögen. Nach der Lesung werden (neben anderen) die offenbar gesetzlich vorgeschriebenen saublöden Fragen gestellt, Uni hin, Seminar her: Warum Frau Maron nicht lieber mal ein längeres Gedicht oder ein Drama verfasse, wo doch - gelehrsame Variante, „MG„- würdig - der

Roman als Form dem Inhalt grundsätzlich unangemessen sei, und - haushälterische Variante - es einen ungedeckten Bedarf an zeitgemäßen Bühnenstücken gäbe (Antwort Maron: Man soll nicht erwarten, daß der Bäcker Äpfel backt). Oder: Warum schreiben Sie eigentlich? Und: Setzen sie sich an den Tisch, und denken sich ein Thema aus? Erste Antwort: „Seien Sie nicht böse, wenn ich die Frage als für mich zu schwer zurückweise.“

Diese Frau hat tatsächlich selber die breiten, Schultern, die zu besitzen sich ihre Protagonistin in „Flugasche“ immer geärgert hat, weil solche Schultern statt des Beschütz- den Draufpack-Reflex aktivieren. Dafür hat sie sich aber auch zu wehren gelernt. Ihre zupackende Diktion verrät, genau wie ihre Prosa, die sechs Jahre Praxis als Journalistin: da wird nicht filigran entfaltet sondern bündig, oft lakonisch pointiert.

Als sie dann wirklich muß, sagt sie auf den Punkt genau, was am

Anfang der „Überläuferin“ stand. Deren 'Heldin‘, Rosalind Polkowski, ist plötzlich im Reich der Freiheit und der Phantasie angekommen, weil eine Lähmung ihrer Beine sie vom Dienst als wissenschaftliche Mitarbeiterin entpflichtet. Die 221 Seiten des Romans verbringt sie tagträumend, als Regisseurin, die frei das Personal ihrer Erinnerung auf- und abtreten läßt und in verschiedene Rollen steckt. Am Anfang, sagt Monika Maron, hätte ein Bild und eine These gestanden. Das Bild etlicher Figuren, (z.B. die des Mannes mit der blutigen Nase, der für jeden runtergeschluckten Satz aus der Nase bluten muß) und eine These. Die These, daß ein Mensch seine Freiheit gewinnt, wenn er sich aus dem Leben herausnimmt.

Eine These, die die Rosalind in ihrem Sessel bestätigt und widerlegt. Am Ende will sie raus aus ihrem Paradies der freien Gedanken. „Die trockene Luft im Zimmer brannte ihr auf der Haut, und

der Anblick des klaren kalten Regenwassers machte ihr Durst. Den Mund weit öffnen und das Wasser in mich hineinlaufen lasen, naß werden, dachte sie, vom Regen naß werden, ja, das wäre schön.“ So endet das Buch (von dem ich sonst leiderleider erst die ersten 66 Seiten vom Anfang kenne.)

„So habe ich's mir ausgedacht, so will ich's auch haben,“ resümiert Monika Maron die Suche nach der für sie richtigen Art zu Schreiben, den Weg von „Flugasche“ („Die Stärken wie die Schwächen kamen aus der Spontaneität“) bis zur satirisch -spielerisch geschriebenen „Überläuferin“. Wie es komme, daß bei ihr das phantastische Moment so stark geworden sei, wurde sie gefragt. Ganz einfach, sagt sie. In New York müsse man ja nur auf die Straße gehen und werde von den Ereignissen überrollt. „Die Besinnung auf phantastische Mittel in der DDR liegt daran, daß nichts passiert.“

Uta Stolle