Ein Millionärsspaß in der Sahel-Zone

■ Rallye Paris-Dakar heute am Ziel / Ari Vatanen mutmaßlicher Sieger bei der zweifellos sandigsten Ausprägung des Männlichkeitswahnes

Berlin (taz) - In einem kahlen Raum in Dakar sitzen einige schwarze Studentinnen und Studenten beisammen und diskutieren. Plötzlich kommt jemand zur Tür herein und verkündet, daß bei der Rallye Paris-Dakar schon wieder zwei Fahrer tödlich verunglückt seien. Beifälliges Gemurmel erhebt sich und ein Mann sagt sinngemäß: „Geschieht ihnen recht. Warum geben sie sich für dieses kolonialistische Spektakel her.“

Ähnlich wie die Protagonisten dieser Szene aus einem senegalesischen Spielfilm denken viele Menschen in Frankreich und Afrika. Doch während es vor einigen Jahren eine wortgewaltige Opposition gegen die protzige PS-Show gab, wird ihr heute in Frankreich vor allem Gleichgültigkeit entgegengebracht, worüber sich der geistige Vater der Rallye, Gilbert Sabine, beim Prolog in Barcelona, wo 700.000 Motorfetischisten den stinkenden Pulk bejubelten, bitterlich beklagte.

Um das Komitee „Pa Dak“, in dem sich 1986 fast 200 afrikanische und europäische Organisationen zusammengeschlossen hatten und zu dessen Unterstützern Persönlichkeiten wie Simone de Beauvoir, der französische Staatssekretär Haroun Tazieff oder der Armen-Pfarrer Abbe Pierre zählten, ist es dagegen still geworden. Eine „Ungeheuerlichkeit“ hatte Abbe Pierre es damals genannt, „einen Spaß für Millionäre vor den Augen von Verhungernden zu organisieren“. Schließlich führe die Rallye durch mehrere Länder der Sahel-Zone.

Brosamen für die Welt

Neben der direkten Gefährdung von Menschenleben durch die mit Höchstgeschwindigkeit dahinbrausenden Fahrzeuge wurde vor allem die Zerstörung der Wüstenpisten und der horrende Verbrauch des knappen Benzins gerügt. Die Veranstalter versuchten seither, den ärgsten Vorwürfen durch humanitäre Hilfe aus den Einnahmen und Geschwindigkeitsbeschränkungen die Spitze zu nehmen. Wer sich bei der diesjährigen Rallye, die heute Dakar erreichen wird, in den Ortschaften mit einem Tempo erwischen ließ, das die erlaubten 50 bis 80 km/h überschritt, mußte beim ersten Mal etwa 1.000 Mark Strafe zahlen, beim zweiten Mal bekam er eine Stunde Zeitabzug, beim dritten Delikt wurde er disqualifiziert. Ein anderes Vergehen wurde allerdings wesentlich strenger geahndet: Manipulationen am Motor. Dafür wurde sofort die rote Karte gezückt.

Auch diesmal gab es wieder etliche Verletzungen, obwohl die Rallye im Vergleich zu den Vorjahren, als sie zahlreiche Tote und Verletzte unter Fahrern, Organisatoren und Zuschauern forderte, relativ glimpflich verlief.

Liebliches Libyen

Mehr als Unfälle und Geldstrafen fürchteten die Fahrer der 241 hochgezüchteten Automobile, 155 Motorräder und 78 Lastwagen diesmal vor allem eines: die neu ins Programm genommene Strecke durch Libyen, wo unter anderem Gaddafis Geburtsort Sabha passiert wurde. Die Libyer erwiesen sich jedoch als perfekte Gastgeber. Zügige Abfertigung an der Grenze, perfekte Organisation sowie kostenlose Verpflegung und Übernachtung versetzten die Fahrer und ihre geldschweren Bosse in solche Begeisterung, daß sie selbst die allgegenwärtige und polyglotte anti-amerikanische Propaganda nicht krummnahmen. „Libyen war eine unerwartete Überraschung“, freuten sich unisono die unangefochten an der Spitze liegenden Peugeot-Teamgefährten Ari Vatanen und Jacky Ickx, „nirgends sonst haben wir ein Land mit einer solch liebenswerten Bevölkerung angetroffen.“

Noch mehr als das Reich des Oberst Gaddafi hatten die Freunde des Gaspedals vorher nur die tückischen Sandwüste „Tenere“ gefürchtet. Nach deren Durchquerung war das Feld auf 98 Autos und 67 Motorräder geschrumpft. Auch der Finne Vatanen hatte sich verfahren und war weit hinter Ickx zurückgefallen. Der Spanier Miguel Prieto versuchte sich an einer Charakterisierung der berüchtigten Tenere, die einst sogar einen gewissen Mark Thatcher zum Entsetzen seiner grimmigen Mutter einige Tage lang verschluckt, ihn aber dann - wahrscheinlich wegen Magenbeschwerden - doch wieder ausgespuckt hatte: „Du fühlst dich allein in einem immensen Meer von Dünen, wo es kein Anzeichen dafür gibt, daß es schon mal jemand durchquert hat. Dann kommen dir Zweifel, obwohl du glaubst, auf dem richtigen Weg zu sein. Eine Abweichung von fünf Grad und du bleibst isoliert ohne Benzin stecken. Wenn du vom Sand begraben wirst, kannst du nicht einmal die Tür öffnen. Und wenn du unsicher wirst, ob du dich schon verfahren hast, wird die Situation dramatisch.“

Jacky Ickx fand mit seinem Beifahrer, einem belgischen Jumbo-Piloten, den rechten Weg und ging weit in Führung, nur noch bedrängt von Vatanen, der ständig aufholte. „Der Glücklichere wird gewinnen“, sagte Ickx in Agadez (Niger) am Rande der Tenere, und er ahnte nicht, wie recht er haben sollte. Als sich nämlich die beiden Peugeots mit röhrenden Motoren weiter aufs Heftigste bekämpften, sprach ihr Teamchef Jean Todt ein Machtwort und ließ eine Zehn-Franc -Münze entscheiden. Vatanen gewann, Ickx mußte fortan bremsen, und wenn dem Finnen nicht noch ein Krokodil zwischen die Stoßdämpfer gerät, wird er heute als erster am Rosado-See bei Dakar eintreffen. Das wäre sein zweiter Sieg bei dieser Rallye.

Und während die Führenden schon längst durch die Savannen von Niger, die Wüste von Mali und den Dschungel Guineas düsten, wurde in der Tenere immer noch eifrig nach denen gesucht, die im Wüstensand versackt waren. Wie sagte schon Hadschi Halef Omar: „Wer durch die Wüste will, muß wissen, wo es lang geht.“

Matti