„Kohl will Brunners Auslieferung nicht wirklich“

Serge Klarsfeld zum französischen Auslieferungsantrag gegen den Kriegsverbrecher Alois Brunner  ■  I N T E R V I E W

Am 27. Dezember des vergangenen Jahres, so ließ der Pariser Anwalt und weltbekannte „Nazi-Jäger“ Serge Klarsfeld in einem Kommunique seiner Kanzlei vom Mittwoch verlauten, hat die französische Regierung über ihren Botschafter in Damaskus die Auslieferung des Nazi-Kriegsverbrechers Alois Brunner schriftlich beantragt.

taz: Als erster haben Sie im Juni 1982 den SS -Hauptsturmführer Alois Brunner in Syrien eindeutig identifiziert. Warum kam man dem Kriegsverbrecher erst so spät auf die Spur?

Serge Klarsfeld: Seit Ende der fünfziger Jahre sprach man über Brunners Aufenthalt in Syrien. Aber wir mußten erst seine genaue Adresse herausfinden. Langwierige Nachforschungen, u.a. der Einsatz von Privatdetektiven im Umfeld seiner österreichischen Familie waren erforderlich, bis wir schließlich 1982 mit ihm persönlich am Telefon sprechen konnten.

Daraufhin versuchten Sie, die bundesdeutsche Justizmühle in Gang zu bringen.

Ich selbst habe in Köln Anzeige erstattet, da mein Vater 1943 von Brunner verhaftet worden war. Schließlich erließ der Kölner Staatsanwalt 1984 einen Haftbefehl, und die Bundesregierung stellte einen Auslieferungsantrag allerdings nicht schriftlich.

Entsprechend gaben die Syrer auch nur mündliche Antwort: Sie wüßten nichts von einer Anwesenheit Brunners auf ihrem Staatsgebiet. Sowohl Außenminister Genscher wie der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Hans Klein, waren in dieser Zeit zu Besuch in Damaskus. Wir verlangten von beiden, den Fall Brunner dort zur Sprache zu bringen. Sie brachten Geld und Kredite nach Syrien - aber über den Fall Brunner redeten sie nicht.

Warum haben Sie den Fall dann in Frankreich vorgebracht?

Es ging nicht, solange Syrien die Vermittlerrolle in den Verhandlungen um die Befreiung der französischen Geiseln im Libanon spielte und außerdem der Barbie-Prozeß die Öffentlichkeit in Anspruch nahm.

Als sich aber Ende 1987 der Streit um die Geiseln entspannte und der Barbie-Prozeß beendet war, erstattete ich auch in Frankreich gegen Brunner Anzeige.

Um ihn, der bereits 1954 von der französischen Justiz zweimal zum Tode verurteilt wurde, erneut wegen Verbrechen an der Menschlichkeit zu verklagen, mußte ich ihn aufgrund von Tatsachen anklagen, deretwegen er noch nicht vor Gericht gestanden hatte. Tatsächlich hatte man 1954 vergessen, ihn wegen der Deportation von 200 jüdischen Kindern 1944 von Paris nach Auschwitz anzuklagen.

Die Klage wurde im Frühjahr 1988 angenommen, worauf der Pariser Untersuchungsrichter im Juni einen internationalen Haftbefehl erließ. Im Dezember nun folgte der Auslieferungsantrag der Regierung in Form eines detaillierten Briefes.

Hatten Sie mit dem französischen Außenministerium Schwierigkeiten?

Auch in Frankreich liebt es das Außenministerium nicht gerade, Auslieferungsanträge zu stellen. Mehr will ich jetzt dazu nicht sagen. Ich hatte aber die Unterstützung des neuen sozialistischen Außenministers Roland Dumas, der selbst als Kläger im Barbie-Prozeß aufgetreten ist.

Wie stehen die Chancen für die Auslieferung?

Das hängt vom Engagement Frankreichs ab. Denn solange man die Syrer nicht zu einer Reaktion zwingt, werden sie - wie bereits gestern der syrische Außenminister in Paris - keine Antwort geben.

Könnte die Bundesregierung heute noch Einfluß nehmen, indem sie ihren Auslieferungsantrag für Brunner erneuert?

Selbstverständlich. Das würde dem Fall ein anderes Gewicht geben. Ich wäre sehr zufrieden, wenn die Bundesregierung erneut die Auslieferung beantragen würde. Leider haben wir mit Helmut Kohl bereits zweimal - im Fall Barbie wie jetzt im Fall Brunner - die Erfahrung gemacht, daß es in diesen Affären keinen wirklichen deutschen Willen zur Auslieferung gab.