Alkem-Dach nur 0,8 Millimeter dick

Experten: Flugzeugwrackteile könnten Katastrophe auslösen / BBU-Beschwerde gegen Weimar  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Hanau (taz) - Alkem-Pressesprecher Dr.Rainer Jend wandt sich wie eine Schlange: Die Stärke von Dach und Außenwänden der FertigungslinienI und II in der Hanauer Plutoniumfabrik Alkem falle unter die „Geheimhaltungspflicht“. Solche „sicherheitsrelevanten Fragen“ dürfe er nicht beantworten. Kein Wunder: Die FertigungslinienI und II der Alkem sind noch nicht einmal gegen den Absturz von Flugzeug-Wrackteilen oder eines winzigen Meteors gesichert. Das geht aus der Anklageschrift zum sogenannten Alkem-Prozeß hervor, die der taz vorliegt. Auf Seite 504 der Anklageschrift mit dem Geschäftszeichen 6 Js 13 470/84 heißt es unmißverständlich, daß die „Fertigungslinien I und II in Fertigungshallen aufgebaut sind, deren Außenwände und Dachabdeckung nach Hausmitteilung der Alkem aus Aluminium-Trapezflächen von 0,8mm Dicke bestehen“.

Auch Michael Sailer vom Darmstädter Öko-Institut weiß von dieser Zahl. Den Experten des Instituts lagen Konstruktionspläne der Alkem vor, die Wand- und Dachstärke der Fertigungshallen mit 0,8mm auswiesen. Sailer: „Das ist natürlich von erheblicher Brisanz. Wer will, kommt da mit der Nagelfeile rein.“ Alkem-Sprecher Jend: Es sei „allgemein bekannt“, daß die Fertigungshallen, in denen mit dem hochgiftigen Plutonium hantiert wird, nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert seien. Deshalb baue die Fortsetzung auf Seite 2

Alkem zur Zeit neue Fabrikgebäude - „mit Stahlbetonwänden von ausreichender Stärke“.

Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) hatte seinerzeit auf Nachfrage der Hanauer Staatsanwaltschaft erklärt, daß es unter den gegebenen Umständen auch dann zu „Brand und Freisetzung“ (von Strahlung) kommen könnte, wenn der Bereich, in dem mit Plutonium umgegangen wird, nicht direkt von einem Fremdkörper getroffen werde, sondern ein Konstruktionsteil, das die Stabilität des Gebäudes gewährleistet: „Auch Schäden durch Flugzeuwrackteile können zu einer Freisetzung führen.“

Die Aussage der GRS widerspricht der Stellungnahme des Alkem-Sprechers, der gegenüber der taz darauf hinwies, daß die eigentliche Brennelementefertigung in soge

nannten Caissons innerhalb der Fertigungsgebäude stattfinde. Diese Caissons seien aus Stahlblech von 3 mm Dicke gefertigt. Darin darf Alkem laut Genehmigung vom 5. Dezember 1977 insgesamt 345 Gramm Spaltstoff gleichzeitig verarbeiten.

Die GRS hat für die Hanauer Staatsanwaltschaft auch errechnet, daß eine Person - im Falle einer Freisetzung von Radioaktivität durch einen Defekt des Daches oder der Außenwände der Alkem - einer „Knochendosis„-Strahlung von 363 rem ausgesetzt werde. Der Höchstwert nach Paragraph 28, III der Strahlenschutzverordnung beträgt 30 rem. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Hanau zeigt dieser Dosiswert deutlich, daß im Falle eines Flugzeugabsturzes die Dosiswerte der Strahlenschutzverordnung „deutlich überschritten“ würden. Experten sind ohnehin der Auffassung, daß die „Knochendosis“ oder „Kno

chenmarksdosis“ nur unzureichend die tatsächliche Strahlungsintensität von Alpha-Strahlern im menschlichen Körper widerspiegele.

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) hat gestern beim hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den hessischen Umwelt- und Reaktorsicherheitsminister Karlheinz Weimar (CDU) erstattet.

Der BBU wirft Weimar vor, der Alkem in Kenntnis der unglaublichen baulichen und statischen Ausstattung der Alkem -Fertigungsgebäude eine Übergangsgenehmigung bis zur Inbetriebnahme der Alkem (neu) erteilt zu haben. In seinem Schreiben an Wallmann verweist der BBU auf Tausende von An und Abflügen von zivilen Flugzeugen auf dem Rhein-Main -Flughafen und auf die zahlreichen „unkontrollierbaren militärischen Überfliegungen“ Hanaus.