DREI IM BUNDE

■ „Das ungemalte Bild“ wird im Brücke-Museum zum Text

Ständiges Stolpern der Augen - plötzlich mitten im Haus ein kleiner Wasserfall oder auch ein Reptil, das sich aus geometrischem Geschenkpapier löst, und dann der Bruder von Siegmund Freud, der kontinuierlich treppauf, doch immer im Kreis läuft. Das kann nur M.C.Escher sein! Richtig! Die Prosa von Elfriede Czurda versetzt einen in diese Bilder akustische Labyrinthe. Die beiden von ihr vorgetragenen dichten Texte verzichten gänzlich auf konventionelle Handlungsfolgen des Alltags und das Identifikationsangebot einer literarischen Figur. Vielmehr herrschen die subversiven Gesetze der Sprach- und Traumlogik. Hier spielen Klangassoziationen, anagrammatische Verschiebungen und Verdichtungen und Lautexperimente die Hauptrolle. Im „ungemalten Bild“ wiederholen sich die Malversuche im immer neuen Ausprobieren von literarischen Stilformen, und nur das erdachte „Tafelbild“ reißt durch die sinnliche Pracht seiner Schilderung den Vorhang des Zögerns beiseite. so genüßlich wird von dem kostbaren KPM-Porzellan, bemalt mit höfischen und ländlichen Szenen, den Kristallgläsern und der silbernen dreistöckigen Etagere berichtet, daß man fast fürchtet, daß gleich das Buddenbroocksche Weihnachtsessen aufgetragen würde und man bekäme Magenschmerzen wie der kleine Hanno. Statt dessen verströmt ein Blumenbouquet aus 222 Rosen und 111 Lilien seinen betörenden Duft, und es geschieht ein Mord.

Der Krimi hält Einzug in den laufenden Text und mit ihm die schnelle Dialog- und Schnittechnik des Fernsehspielbilds. So zählt jetzt die Blumenhändlerin die Lilien nach - und es fehlen zwei. Das Lehrmädchen schummelt eine Nachricht mit dem Strauß ins Haus - an wen?

Der Autor Wolfgang Hegewald, aus der DDR stammend, entwirft in der Reihe des Brücke-Museums ein ganz anderes Prosa-Bild. In seiner konventionellen Erzählweise berichtet er Skurriles vom Umgang mit der Kunst auf dem Land. Statt dem Liliengesteck hier Heckenrosen und eine Pergola. „Sommerfrische“ heißt im Untertitel „eine Bildergeschichte aus dem Hühnerstall meiner Urgroßmutter“.

Hanns-Josef Ortheil, der Dritte im Bunde des ungemalten Bildes, klärt zuvor das Publikum über seine Absichten auf, was zu dem kleinen Wunder einer unverkrampften Diskussion nach der Lesung führte. Ortheil läßt in der experimentellen „fiktiven Dokumentation“ sprachlose, aber sichtbare Figuren der Brücke-Bilder zu Wort kommen und erfindet Briefe, in denen Personen aus dem Umkreis der Gruppe ihr Verhältnis zur Malkunst klären. In einer Collage aus monologisierenden Texten, meist Briefen, aber auch Tagebuchaufzeichnungen, sprechen Galeristen, Freunde und vor allem endlich die Modelle über die Bilder, die von ihnen gemalt worden sind, und wie sie sie gerne gehabt hätten. „Woher bloß das anhaltende Interesse am nackten Körper?“ - „Warum malt er mir so eine lange Nase?“ - „Der Urkunsttrieb des Menschen ist die Abstraktion.“ - „Ich habe mich gar nicht wiedererkannt.“ - Vorwürfe, Vorwürfe, nichts als Vorwürfe.

Reden ist Silber. Malen ist Gold.

Susanne Raubold