BILDER-SCHUSSWUNDEN

Die Revolution und die SPD in der Fotografie: NGBK / Straße  ■  I.

Donnerstag, 11 Uhr, Pressetermin bei der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst. Die Revolutionsfotos hängen schon, aber die Texte fehlen noch. So muß ich also raten, daß die Herren mit dem unglaublich komplizierten Zierat an Helmen und Uniformen zu regierungstreue Truppen gehören; und die vielen schnauzbärtigen Männer, die, ihre Waffen locker über die Schulter gelegt, mit eigentümlich klaren, fast heiteren Gesichtern in den Kampf ziehen, die Revolutionäre, die Spartakisten sind.

Eine Arbeitsgruppe um Diethart Kerbs, der im Bereich „Pressefotografie nach 1900“ als Spezialist gilt, hat diese Ausstellung erarbeitet. Thema ist nicht die Revolution von Arbeitern und Soldaten nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, November 1918 bis 1919, sondern deren Darstellung in der Fotografie.

Die schnellste Presse damals war die Postkartenindustrie, die die Kundschaft innerhalb weniger Stunden mit aktuellen Bildern versorgen konnte. Aus einem 13 x 18-Negativ nahm man einfach einen zentralen Ausschnitt, wobei der Text quasi als Bildinschrift ins Negativ gesetzt wurde und auf der Postkarte (die damals etwas länglicher war als die heutige) weiß erschien. Postkarten, so Kerbs, waren damals große Mode. Insbesondere sammelte man die Konterfeis der königlichen Familie. Nun brachte man Revolutionssouvenirs mit nach Hause.

Die Vorlaufzeit der Zeitungen für den Druck belief sich auf mindestens drei Tage bis zu einer Woche. Die meisten Zeitungen hatten illustrierte Beilagen. Die Fotografen, unterwegs mit behäbigen 13 x 18- Kameras (Beispiele werden in einer Vitrine gezeigt), belieferten hauptsächlich Agenturen. Die Negative waren aus Glas, und nicht selten bekamen sie vom Rand her Licht, als wenn das Ereignis dabei wäre, sich aufzulösen.

In den Vergrößerungen (wie sie jetzt auch als Fotoplakate auf neuen Berliner U-Bahnhöfen zu sehen sind) werden die Fehler besonders auffällig; und jenes Grau, das an das Blei und den Staub des gerade vergangenen Krieges erinnert, scheint die Bilder von innen her aufzufressen oder zuzudecken.

Die Attraktion dieser Ausstellung sind deshalb die 13 x 18 -„Kontakte“ der Glasplatten, alte und nach alten Platten neu gemachte. Hier sieht man die eigentümliche, bestechende Enge des Bildraums. Die ist bedingt auch durch die Technik. Denn das „Normalobjektiv“ von Kameras mit einem (aus heutiger Sicht) sehr großen Negativformat ist notwendig ein Tele (oder besser das, was für die Kleinbildkameras ein Tele wäre). Wir haben ungefähr das gewohnte Blickfeld „mittlere Distanz“, aber eine geringe Tiefenschärfe. Das läßt den Fotografen, wenn er in einer Gruppe steht, als mittendrin erscheinen.

Weil die Fotografen aber viel Schärfe wollen, gehen sie zu den Gruppen, Demonstrierenden, Verbarrikadierten oder fahrenden Wagen und Panzern auf Distanz. So erscheint die Gruppe in einer Stadtlandschaft, die sich wie ein Rahmen um sie schließt. Oder wie eine gut ausgebaute Bühne. So vermutet man links und rechts, jenseits des Bildrands, das Dunkel des Raums, in dem man selbst als Zuschauer sitzt. Und oben vielleicht einen Schnürboden. Sind es nun Akteure, die wir sehen, oder Marionetten? Diese Überlegung betrifft die Fotografien; weit weniger die Revolutionäre oder die Truppen des Königs oder der SPD.

Diethart Kerbs bedauert übrigens die (Bild-)Quellenlage. Kein Bild von Rosa Luxemburg aus dieser Zeit, nur eines von Liebknecht! Da hat er recht, sofern die Erinnerung an eine revolutionäre Situation eine revolutionäre Tradition begründen kann. Oder nicht? Denken wir an Lenin, dessen Kopf uns vorenthalten zu haben wir seinen Zeitgenossen leider nicht vorwerfen können. Und wie war es für diejenigen, die damals kämpften? Waren ihre Köpfe nicht vielleicht freier, wenn sie den Schnurrbart ihres Anführers nicht in Großaufnahme kannten; wenn sie, mangels Lautsprecheranlage, sich in der zwanzigsten Reihe eher denken mußten, was vorn gesprochen wurde, als daß sie es verstanden hätten? II.

Soweit zu den Bildern von der Straße, die wir nun sicher und satt, unter Dach und gut beleuchtet, aus der sicheren Distanz eines Lebensalters betrachten können als Kunstwerke. Nun zu den Bildern auf der Straße, und zur SPD.

Die SPD hat sich entschlossen, ihren Glatzkopf nicht im Bild zu zeigen. Weil man aber Hänschen nicht zeigen kann, wenn man Hans versteckt, die Bezirkskandidaten auch nicht. Nun ist viel Platz auf den Plakaten.

Diese Partei muß an eine extrem dämliche Agentur geraten sein. Nun gut, daß nur die grün-alternativen Parteien noch mit Argumenten werben - daran haben wir uns gewöhnt. An ultradumme Sprüche auch. Aber „Berlin ist Freiheit“ ist nun doch ein überraschender Slogan, schon deshalb, weil er einen Status quo markiert. Sagen wir, ein Stobbe hätte mit so einem Spruch versucht, seine Haut zu retten. Aber die SPD will ja andere Parteien ablösen. Es müßte also, sollte unser Kopfnicken mehr sein als ein Hospitalismus, ein Versprechen sein: „Für...“ zum Beispiel.

Viel unglaublicher die Bilder, die den Slogan (vermute ich) illustrieren sollen. Auf dem einen Plakat ist ein blonder Vorschuljunge aus Zehlendorf eine Leiter hochgestiegen, um über ein schlecht gesprühtes Imitat der Mauer hinweg seine Reihenhausnachbarin aus dem gleichen Stadtteil zu begrüßen. Das andere Plakat zeigt eine junge Frau in einer schwarzen, offenen Lederjacke. Darunter trägt sie ein weißes T-Shirt, aus dem in der Bauchgegend etwas Rotes platzt. Offenbar ist sie von einem neuartigen Distanzgeschoß der Polizei schwer getroffen worden. Das hindert sie aber nicht daran, einem dümmlich lächelnden Polizisten, der ihr auf Armeslänge gegenübersteht, in die Fritten zu greifen. Seine Plastikfrittengabel ist nicht fotografiert, sondern ein dilettantisch eingeklebter rosa Papierfetzen. Die beiden sehen aneinander vorbei. Beide Plakate haben im Hintergrund ein Blau als Verlauf eingezogen, der sich nach oben hin verdichtet.

Wir leben in einer Zeit, wo man fast alle Bilder herstellen kann. Die bunt flimmernden Massen in den Diskotheken, die Star-Porträts „von der Straße“, alles, was die Illustrierten so bieten, ist gestellt - mit äußerstem Aufwand, meistens in Studios oder mit Hilfe transportabler Blitzanlagen an anderen Orten. Der Zugriff zum Moment, wie ihn die Revolutionsfotografen noch übten, wie er im Vietnamkrieg gelang (und plötzlich, viel mehr, als von der Geschichte geprägt zu sein, Geschichte machte): Dieser Zugriff ist verlorengegangen. Das brodelnde Leben ist eine aufwendige Inszenierung.

Die SPD-Bilder aber sind mausetot. Die Protagonisten sind verkrampft und unsicher, denn sie verstehen nicht, was sie darstellen sollen. Warum sollte man im Zehlendorfer Kinderzimmer eine Mauer bauen? Warum sollte eine Pseudo -Punkfrau für einen Griff nach fettigen Kartoffelstreifen eine Schußwunde riskieren?

Es geht nicht darum, ab an der Mauer geschossen wird (wie sich die CDU empört) oder ob Studenten zusammengeschlagen werden von der Polizei. Ein Wahlkampf ist keine Reportage. Aber er soll einen Lichtblick werfen auf das, wofür wir uns angeblich „entscheiden“ sollen. Die Produktwerbung, so gefährlich sie mit ihren subtilen Unterstellungen sein mag, amüsiert uns wenigstens noch, wenn wir ihrem Raffinesse auf die Spur kommen. Die Straßenbilder der SPD lassen uns auf einen öden Schauplatz sehen, der von jeglicher Imagination schon lang verlassen ist. Darum ist kein Dunkel, in dem wir uns befänden, und hier findet auch nichts mehr statt.

Ulf Erdmann Ziegler

I.: Revolution und Fotografie, Berlin 1918/19. NGBK, Tempelhofer Ufer 22, U-Bahnhof Möckernbrücke. Der Katalog erscheint voraussichtlich im Februar im Nishen-Verlag und wird 38 Mark kosten. (Siehe auch die Beilage.)

II.: Wahlplakate der SPD, Januar 1989.