Bundeswehr will Produkte aus Berlin kaufen

■ Trotz entmilitarisiertem Status: Berliner Absatz-Organisation (BAO) vermittelt zwischen dem Bundeswehr-Beschaffungsamt und Berliner Firmen / Zwei Friedensforscher untersuchten 190 Berliner Firmen mit NATO-Kontakten und veröffentlichten darüber eine Studie

Von einer zivilen Gesellschaft ohne Rüstungsproduktion und Militär ist Berlin weiter entfernt denn je. Denn mit dem letzten Jahr hat ein organisierter „Militarisierungsschub“ für die Wirtschaft der Stadt eingesetzt. Ganz geregelt dürfen Berliner Unternehmen seit kurzem Güter an die Bundeswehr in Westdeutschland liefern: seit Februar '88 sogenannte „handelsübliche“ Produkte, die auch zivil verwendbar sind, und seit Dezember auch Rüstungsgüter, die unter Lizenz der Westalliierten hergestellt wurden. Das ist das überraschende Ergebnis einer Studie, die der Friedensbereich der AL beim Forschungsinstitut für Friedenspolitik in Starnberg in Auftrag gegeben hatte; die Broschüre von Erich Schmidt-Eenboom und Karl Winklmair wurde gestern veröffentlicht.

Noch 1984 führte die Regionalstatistik für Bundeswehr -Aufträge keinen einzigen Auftragnehmer aus Berlin auf - die Kontrollratsgesetze Nr. 43 und 23 verbieten die Produktion von Kriegsmaterial in Berlin. Ausnahmegenehmigungen sind möglich; bekanntgeworden ist aber bisher nur eine Lizenz für die Julius Peters GmbH, die in Tiergarten Materialprüfgeräte herstellt. Wenn eine Firma jetzt nicht mehr nur die Verbündeten, sondern ganz offiziell die Bundeswehr beliefern will - der Weg ist einfacher geworden.

Schon im Februar letzten Jahres hatte das Bundesverteidigungsministerium klargestellt, daß auch Unternehmen mit Sitz in Westberlin „bei der Vergabe von Leistungen“, wie es im Amtsdeutsch heißt, berücksichtigt werden können, wenn sie die Kontrollratsgesetze beachten. Im Juni regelte dann das zuständige Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) die Vergabe von Aufträgen nach Berlin: Die Auftragsberatung liegt seither bei der Berliner Absatz -Organisation (BAO). Diese Einrichtung zur Wirtschaftsförderung stellt die Kontakte zwischen der Bundeswehr und Berliner Firmen her. Voraussetzung ist ein Auftragswert von mindestens 20.000, bei Druckaufträgen 100.000 Mark. „Zur Zeit treffen täglich fünf solcher Anfragen ein“, freute sich die BAO im November über die Post aus Koblenz.

Die BAO ruft dann bei in Frage kommenden Berliner Firmen an, und wenn mindestens eine Firma ein Angebot abgeben will, wird die Adresse nach Koblenz weitergereicht. Die Aufforderung zur Abgabe des Angebots kommt dann direkt von der Beschaffungsstelle. Eine Informationsveranstaltung für interessierte Berliner UnternehmerInnen fand Ende November beim Verein Berliner Kaufleute und Industrieller statt; die Presse war nicht zugelassen.

Auch der Versand der Güter ist genau geregelt. Gibt es eine Ausnahmegenehmigung vom Gesetz Nr. 43, muß die Versendung an die militärischen Auftraggeber von Westdeutschland aus erfolgen; ansonsten bereitet der Transit keine Schwierigkeiten. Nicht nur die Berliner Wirtschaft hat von den Aufträgen ihre Vorteile, sondern auch die Bundeswehr selbst: Die Güter fallen nämlich unter die Berlinförderung, und die Bundeswehr bekommt damit 4,2 Prozent des Warenwertes vom Finanzminister zurückerstattet.

„Damit hat sich ein weiteres Feld versteckter Rüstungsfinanzierung eröffnet“, schreiben die beiden Autoren, die auch einen „Einbruch in den Status der entmilitarisierten Stadt“ ausgemacht haben. Während die Alliierten wegen jedes NVA-Soldaten protestieren, der sich im Ostteil der Stadt blicken läßt, bleiben die Bedenken aus, wenn ein Beamter der Bundeswehr im Westteil tätig wird. In einem Schreiben des Verteidigungsministeriums vom 7. Dezember an das Beschaffungsamt wird nämlich auch geregelt, daß einige BWB-Beamte demnächst in Berlin „Güteprüfungen“ am Wehrmaterial durchführen können. Durchführungsbestimmungen wurden gleich erteilt: Einfache Chargen müssen durch den Transit, höhere dürfen fliegen.

Die beiden Autoren gehen nicht davon aus, daß Verteidigungsminister Rupert Scholz, vormals Berliner Justizsenator, für diese Entwicklung verantwortlich ist; die Veränderungen begannen schon vor seinem Amtsantritt. Schmidt -Eenboom und Winklmair erklären die Entwicklung damit, daß den Berliner Unternehmern, die rüstungsrelevante Produktion einfordern, wenigstens ein politisches Zugeständnis gemacht werden sollte, wenn schon die Berlin-Förderung zusammengestrichen wurde. Kaum mehr als ein Zugeständnis ist es wohl, weil die Alliierten auch weiterhin über die Lizenzvergabe entscheiden.

Beteiligt, so haben Schmidt-Eenboom und Winklmair recherchiert, waren an den Vereinbarungen unter anderem die Alliierten, der Senat und die Bundesministerien für Verteidigung und Wirtschaft. Aus dem Wirtschaftsministerium stammte auch der Vorschlag über die Versendung der Lizenz -Waren, der dann vom Auswärtigen Amt mit den Alliierten abgestimmt wurde.

Eigentlich hatten die beiden Wissenschaftler Erich Schmidt -Eenboom und Karl Winklmair den Auftrag bekommen, die NATO -Lieferanten in Berlin zu untersuchen. Denn bislang hatten die ortsansässigen Firmen, von einigen Ausnahmen abgesehen, vor allem die hier stationierten Alliierten mit handelsüblichen Gütern beliefert. Den Friedensforschern war vor einiger Zeit eine Liste der US- „Defense Logistic Agency“ in die Hände gefallen, die vom Dezember '85 datiert. In dieser „DLA-Liste“ sind rund 6.000 bundesdeutsche Unternehmen aufgeführt, die je in Geschäftsbeziehungen mit der NATO gestanden haben. 190 Adressen aus Berlin waren dabei, 150 Firmen existieren noch und werden in der Broschüre ausführlich beschrieben.

Das reicht von Kleinfirmen, die Glühbirnen produzieren, bis hin zu den ersten Adressen der Stadt: Siemens, AEG, DeTeWe oder Schering. Hochgespannte Erwartungen muß die Broschüre aber enttäuschen: Die DLA-Liste enthält weder Angaben über die Art der Lieferungen noch über Umfang oder Zeitpunkt. Mit riesiger Fleißarbeit haben die beiden Autoren versucht, diese Lücken wenigstens mit Angaben zur Produktpalette, zu Firmenverflechtungen und zur wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zu füllen. Die Broschüre enthält außerdem Kapitel zur Struktur dieser Berliner Rüstungsindustrie, zur Rüstungsforschung und zur rechtlichen Situation der Rüstungsproduktion in Berlin.

diba

Erich Schmidt-Eenboom/Karl Winklmair: NATO-Lieferant Berlin. Rüstungswirtschaft und -forschung in Berlin (West). Studie des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e. V., Starnberg. 78 Seiten, ibf-Verlag, Postfach 1308, 8130 Starnberg.