Formaldehyd in corpore sano

■ Monatelang strömte der giftige Stoff in eine Moabiter Turnhalle / Überhöhte Werte sind seit März bekannt / Stadträte ließen nur lüften / Eltern wußten von nichts

„Soll ich denn die Halle schließen und den Sportunterricht ausfallen lassen?“ fragt der Tiergartener Volksbildungsstadtrat Norbert Schmidt. Die Antwort vieler Eltern, deren Kinder die Moabiter Grundschule in der Paulstraße besuchen, ist klar. „Mein Sohn geht nicht mehr in den Sportunterricht“, sagt Thomas Buttmi. Grund: In einer der zwei Schulturnhallen tritt ständig das giftige Formaldehyd aus. Dem Bezirksamt ist das schon seit März bekannt. Buttmi hat es erst im November erfahren, Gesamtelternvertreter Werner weiß es seit Sommer. Werner: „Eine Sauerei, daß wir das so spät erfahren haben.“ Weil Lehrer über Reizhusten und tränende Augen klagten, hatte Gesundheitsstadträtin Wurster (AL) bereits im März 1988 in der Turnhalle messen lassen. Zweimal wurden 0,15 ppm (parts per million) ermittelt, der Grenzwert beträgt 0,1 ppm. Die Turnhalle blieb geöffnet, aber im Oktober wurde nochmals gemessen. Obwohl zuvor eine Stunde lang gelüftet worden war, kletterte der Formaldehydwert immer noch auf 0,16 und 0,17 ppm. Stadtrat Schmidt ließ die Turnhalle auch jetzt nicht etwa schließen, sondern ordnete an, gründlicher zu lüften: 24 Stunden am Tag, bei aufgedrehter Heizung. „Auf Schmidts Drängen“ (Wurster) ließ die Gesundheitsstadträtin im Dezember ermitteln, welche Werte sich nach einer 24stündigen Lüftung der Halle ergaben. Die Ergebnisse lagen unter dem Grenzwert - für Schmidt beruhigend. Für Peter Braun vom Verein für Umweltchemie „Bauch“ nicht: „Solche Messungen sind nicht üblich.“ Sonst werden vor einer Messung Fenster und Türen 24 Stunden lang geschlossen. Ständiges Lüften, so Braun, sei als Mittel gegen Formaldehydgefahren „völlig unzureichend“. Dem Tiergartener Baustadtrat Wolfgang Naujokat (SPD) gelang es bis heute nicht, die Giftquelle zu ermitteln. Jetzt liegen Proben bei der Bundesanstalt für Materialprüfung. Warum die Eltern monatelang nicht informiert wurden, konnte Stadtrat Schmidt gestern „ohne Akten“ nicht sagen. Und AL-Stadträtin Wurster hat sich auf Schmidt und Naujokat verlassen: „Ich bin davon ausgegangen, daß die was machen.“ Kurz vor Weihnachten wurde die Turnhalle dann doch geschlossen - durch Zufall. Ein Tippfehler hatte den Dezembermeßwert von 0,03 auf 0,33 ppm vergrößert. Die Abteilung Volksbildung ließ die Turnhalle daraufhin dichtmachen. Dieser „Fehler“ ist erkannt. „Ab sofort“, teilte die Schulrektorin gestern den Eltern mit, sei die Halle wieder geöffnet.

hmt