Felix Krull meets Mackie Messer

■ Morgen - vor hundert Jahren wurde Walter Serner geboren

Michael Kohtes

Wer Dada sagt, muß Walter Serner nennen. Ein Dichter, der aufs Ganze pfiff. Dandy, Desperado, Memphis-Raucher, arbeitete schon früh unter falschem Namen (eigentlich Walter Seligmann) und blieb - promovierter Jurist - ein Hochstapler der exquisiten Sorte: „Sie wollen wissen, ob ich meine Bücher für Dichtung halte? Keineswegs. Dichtung ist und bleibt ein, wenn auch höherer, Schwindel.“ Die Existenz, dies rigorose Leben war für ihn wie das Lächeln der Mona Lisa - reine Nervensache; seine dem Alltag abgewonnene Maxime: „Gehe nie ins Theater. Du verdirbst dein Spiel.“

So fuhr er in Europa spazieren, verkehrte in Unterweltkreisen, mit Gangstern und Halunken, deren adrett gekleidete Komplizen er auf den oberen Galerien der Gesellschaft dann unvermutet wiedertraf. Derartige Deja-vu -Erlebnisse prägen sich natürlich ein und mit der Zeit auch den Charakter, reine Fügung, die bereits Oscar Wilde zu der Bemerkung gereizt hatte: „Ich bin durchaus nicht zynisch, ich habe nur Erfahrung - und das ist so ziemlich dasselbe.“

Walter Serner akzeptierte diese Haltung schon aus moralischen Erwägungen und zog die Konsequenzen: „Die Welt will betrogen sein, gewiß. Sie wird aber sogar ernstlich böse, wenn du es nicht tust.“ Also wurde er, Schriftsteller wider Willen, zum smarten Vollstrecker einer kriminell veranlagten Epoche. Da er, gleichsam aus Berufsgründen, häufig untertauchte, kam er auch - öfter als andere - wieder auf die Welt. Das erste Mal und wohl mit Schwung: am 15.Januar 1889. Sein Vater war Herausgeber der 'Karlsbader Zeitung‘, für die der auf die Universität nach Wien geschickte Filius als Kulturkorrespondent berichtete. Daneben erschienen Serners Kunstkritiken und Aufsätze in diversen, meist Berliner Zeitschriften, allen voran Franz Pfemferts expressionistischem Paradeblatt 'Die Aktion‘.

Als die europäischen Großmächte im August 1914 ihre geistige Bankrotterklärung ratifizierten, ging Serner ins Exil nach Zürich. Die „erniedrigende Tatsache eines Weltkrieges im 20.Jahrhundert“ (Hugo Ball) wurde auch für ihn zum desillusionierenden, fortan einem sarkastischen Pessimismus die Feder führenden Schlüsselerlebnis. 1915/16 edierte er den 'Sirius‘, ein kleines, freches Periodikum für Kunst und Literatur, das Theodor Däubler, Else Lasker -Schüler und Yvan Goll ebenso zu seinen Mitarbeitern zählte wie Hans Arp, Alfred Kubin und Pablo Picasso.

Sein poetisches Coming-out indes hatte Serner mit Dada, jener Kunstrevolte des fröhlich-nihilistischen Ballaballa, die den Doktor erstmals auf der Höhe seiner Möglichkeiten sah. „Er war der große Zyniker der Bewegung, der vollkommene Anarchist, ein Archimedes, der die Welt aus den Angeln hob und herausgehoben voll Verachtung hängen ließ“, so Hans Richter in seinen Erinnerungen. Als Serner bei der „größten aller Dada-Shows“ 1918 in Zürich aus seinem Manifest Letzte Lockerung las, kam es im Saal zur Massenkeilerei; bald darauf wurde er von den Schweizer Behörden als bolschewistischer Agent verdächtigt, und überhaupt, der Mann zeigte alle Eigenschaften eines unliebsamen Störenfrieds: theoretischer Kopf und neben Tristan Tzara unermüdlicher Promoter der Zürcher Dada-Gruppe, war es vor allem Serner, der die Vielfalt dadaistischer Aktivitäten auf den Punkt zu bringen wußte: „Weltanschauungen sind Vokabelmischungen... Man muß dieses schauderhafte überlebensgroße Ansichtskartenblau, das diese trüben Rastas an den He-Ho-Hu -Ha (wie bitte?) Himmel hinaufgelogen haben, herunterfetzen... Daß alle den Verstand verlieren und ihren Kopf wiederbekommen.“

Nach der Auflösung von Dada-Zürich siedelte Serner nach Genf über, wo er eine Art dadaistischen Ein-Mann-Betrieb aufmachte. Als Meister der Selbstinszenierung lancierte er ganze Serien von Skandal- und Erfolgsmeldungen in die internationale Presse, die den Eindruck erwecken konnten, Genf sei nun zum Dada-Nabel der Welt geworden. So berichtete das 'Prager Tagblatt‘ vom 7.Januar 1920 über den ersten Weltkongreß der Dadaisten, bei dem ihr Vorsitzender Dr.Serner in einem heftigen Disput mit Tzara plötzlich einen Revolver gezogen und „vier blinde Schüsse“ auf seinen Gegner abgegeben habe. Die Streithähne seien daraufhin polizeilich verhört, bald aber wieder freigelassen und von den wartenden Dadaisten „im Triumphe auf den Schultern zu ihrem Hotel“ getragen worden. Man las von haarsträubenden Konzerten und sensationellen Ausstellungseröffnungen, von einer furiosen Uraufführung Igor Strawinskys und vom Großen Dada-Ball. Unter der Schlagzeile „Ausweisung des Dadaistenführers Dr.Serner aus der Schweiz“ schrieb der 'Berliner Börsen -Courier‘ am 28.Mai 1920: „Eine blutig verlaufene Prügelei in der Tabarin-Bar, bei der eine Tänzerin den Fuß brach, bot den Behörden den erwünschten Vorwand, den Dadaistenführer Dr.Serner auszuweisen, der seit einem halben Jahr ganz Genf in Atem hält und auf dem besten Wege war, der Jugend völlig den Kopf zu verdrehen.“ Vierzehn Tage später, an gleicher Stelle: „Keine Ausweisung Dr.Serners aus der Schweiz.“ Dr.Serner ging freiwillig.

Nachdem der Bluff-Artist unter freiem Himmel vor Tausenden von Zuschauern dem Kosmos einen Tritt versetzt und sich in Paris mit Tristan Tzara überworfen hatte (keine Falschmeldung), kehrte er der Dada-Bewegung den Rücken, stieg in den nächsten Zug und verschwand im eigenen Mythos. Während der zwanziger Jahre nämlich lebte und schrieb sich Serner ebenso hemmungslos wie genüßlich in das Bild, das die Öffentlichkeit ohnehin von ihm hatte: der mokante Snob mit ruchlosem Lebenswandel, ein schriftstellernder Abenteurer mit einem Bein im Knast, mit dem andern auf der Bananenschale. Niemand wußte, wo er sich gerade herumtrieb, ob in Paris oder Neapel, in den Kasinos von Monte Carlo oder auf einer Hazienda in Südamerika. Alles war möglich, aber auch das Gegenteil. Die Gerüchte wucherten, und Serner grinste. 1921 erschienen seine Kriminalgrotesken Zum Blauen Affen, zwei Jahre später Der elfte Finger, 1925 folgte Der Pfiff um die Ecke - ausnahmslos salopp und unbefangen, voller Ironie und ohne Sentimentalität erzählte Episoden aus den Zwielichtzonen des gesellschaftlichen Souterrains. Ganoven-Stories, die das auf jeder gegen jeden getrimmte Milieu der Halbwelt zeigen, doch das Ganze meinen: die Welt als Wille und Täuschung, als skrupellose Glücksbude, in der getrickst und betrogen, gehurt und verpfiffen wird. Alles hohl und hundsgemein - so hat dieser „brillierende Outsider“, wie Serner sich selbst einmal nannte, die Wirklichkeit gesehen und mit frivolem Spott beschrieben. Daß der Spott nur mehr Verzweiflung maskierte, offenbar seine meistgelesene Erzählung Die Tigerin, die „amour fou“ zwischen einer gerissenen Hetäre und einem Hochstapler, in dessen Charakterisierung wir unzweifelhaft den Autor selbst erkennen: „Henry Rilcer, genannt Fec, hatte alles hinter sich. Er war mit allem fertig. Auch mit sich selbst. Er lebte gleichsam vor sich einher. Ins Leere hinein.“

1927 hörte Serner auf zu publizieren. „Ich werde so sehr gehaßt, man arbeitet so sehr gegen mich“, schrieb er an seinen Freund, den Maler Christian Schad, „daß ich anfange, die Sache ekelhaft zu finden.“ 1931 wurden seine Bücher auf den Index der Schund- und Schmutzschriften gesetzt; erst auf Interventionen von Alfred Döblin, Max Herrmann-Neisse und anderer namhafter Autoren stellte man das Verfahren gegen ihn wieder ein. Als zwei Jahre später die Nazis an die Macht kamen, war niemand mehr da, der noch hätte intervenieren können. Seit 1937/38 galt der jüdisch erzogene Serner als spurlos verschollen; das letzte verläßliche Lebensdatum ist der 10.August 1942: An diesem Tag wurde er aus Prag ins Konzentrationslager nach Theresienstadt deportiert...

„Die letzte Enttäuschung?“ hatte Serner in seinem 1927 veröffentlichten Handbrevier für Hochstapler geschrieben: „Wenn die Illusion, illusionsfrei zu sein, als solche sich herausstellt.“