Sonnenpisten der Sierra Nevada

■ Europäisch fortschrittlich nennen die politisch Verantwortlichen den Ausbau des Skitourismus in der Sierra Nevada. Unverantwortlich bezeichnen es die Gegner. Streit um ein touristisches Großprojekt...

Friedhelm Roth DIE SONNENPISTEN

DER SIERRA NEVADA

Europäisch und fortschrittlich nennen die politisch Verantwortlichen den Ausbau des Skitourismus in der Sierra Nevada. Unverantwortlich bezeichnen es die Gegner. Streit um ein touristisches Großprojekt in Andalusien.

Skilifte mit Blick auf die Costa del Sol wird einer so wenig erwarten wie sibirische Pflanzen in Sichtweite mediterraner Olivenhaine. Völlig unvorstellbar, daß es in Andalusien gar zum Streit kommen könnte, ob einheimische Tundragewächse einem Riesenslalom zu weichen haben. Doch genau darum geht es seit einiger Zeit am Fuß der Sierra Nevada.

Das Schneegebirge, bis in den frühen Sommer mit seinem weißen Kamm eine sehr unwirkliche Kulisse zu den vor Hitze glühenden Ziegeldächern und den tropischen Palmengärten Granadas, ist in die Schlagzeilen gekommen. „Olympische Winterspiele in der Sierra möglich“, „Ausbau des Wintersports schafft Tausende von Arbeitsplätzen“, posaunt die Provinzpresse. „Rettet die Sierra Nevada“, „Kriegserklärung touristischer Spekulanten gegen unsere Berge“, so warnen Flugblätter und Plakate der Umweltschützer.

Wobei derzeit alles danach aussieht, als würde die „Kommission zur Verteidigung der Sierra Nevada“ gegenüber der Skipistenfraktion im Rathaus von Granada und im Landesparlament von Sevilla den kürzeren ziehen. Denn die Aktiengesellschaft, die das Wintersportzentrum betreibt, gehört zu 80 Prozent der öffentlichen Hand. Und die in Stadt und Land regierenden Sozialisten sind - nicht anders als die Opposition - nach wie vor davon überzeugt, daß es zu der Politik touristischer Ballungszentren keine Alternative gibt. Folglich soll das schon prächtig florierende Geschäft mit Sonne und Schnee auf den Abhängen der andalusischen Dreitausender kräftig ausgebaut werden. Der „Plan Nieve“

Das von Dezember bis April schneesichere Skigebiet konzentriert sich zur Zeit auf einem Bergrücken in 2.500 Meter Höhe, eine knappe Autostunde von Granada entfernt. Von dort erschließen Seilbahn und Sessellifte die weiträumigen Abhänge bis fast zum Pico del Veleta, mit 3.398 Metern zweithöchster Gipfel des Massivs. Der umstrittene „Plan Nieve“ sieht nun vor, die Kapazitäten des Wintersportzentrums bis 1993 zu verdreifachen. Lifte sollen dann 2.500 Skifahrer in der Stunde befördern, die sich auf einer Fläche von 2.600 Hektar mit gut 120 Pistenkilometern tummeln können. Mit sechs neuen Siedlungen soll die Bettenzahl auf 15.000 erhöht werden.

Als weiteres Großprojekt, auch mit Blick auf die Olympiade in Barcelona, ist in der dünnen Luft von zweieinhalb Kilometer Höhe ein Trainingszentrum für Hochleistungssportler geplant: mit vier Mehrzwecksportplätzen, drei Tennisfeldern, einer Radrennbahn, Schwimmbad, Turnhalle und was sonst noch dazugehört. Vor allem die entsprechenden Verkehrswege. Die Sierra Nevada, die sich schon vor 25 Jahren den sehr einschneidenden Bau der höchsten Autostraße Europas gefallen lassen mußte, wird bald um einen neuen Superlativ „bereichert“: den höchsten und größten Parkplatz des Kontinents, 1.000 Stellplätze auf 2.500 Meter Höhe.

Um dem andalusischen Wintersportkomplex das nötige Ansehen und die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen, will Granada zu einem sporttouristischen Gipfeltreffen in Gestalt alpiner Skiweltmeisterschaften einladen. Beim Treffen des Internationalen Skiverbands Anfang Juni letzten Jahres in Istanbul wurde aus Andalusien ein mehr als hundertköpfiges Aufgebot eingeflogen, um für die Sierra Nevada als Austragungsort der Weltmeisterschaft von 1993 zu werben. Diesmal noch vergebens, denn die Entscheidung fiel zugunsten des japanischen Morioka. Doch den sportgeschäftlichen Ehrgeiz der Granadiner hat das nicht gebrochen. Jetzt erst recht, heißt es, soll der Fünfjahresplan für den skitouristischen Umbau des Gebirgsmassivs realisiert werden. Auch die olympischen Winterspiele werden ernsthaft anvisiert. Für den sozialistischen Bürgermeister von Granada sind diese Pläne Anlaß zu nicht nur gedanklichen Höhenflügen: Er hat sich mit einer fraktionsübergreifenden Delegation in Calgary umgesehen und beim IOC in Lausanne antichambriert.

Schließlich geht es bei dem Plan Nieve um das im nächsten Jahrzehnt größte und ambitionierteste Wirtschaftsprojekt in der Provinz Granada. Mit Investitionen von 21 Milliarden Peseten (etwa 318 Millionen Mark), fast ein Drittel davon aus öffentlichen Geldern, sollen 2.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Und wenn die Kapitalgeber diese schwindelnden Höhen erklimmen, so tun sie das naturgemäß auch in der Erwartung steil steigender Profitraten. Der derzeitige Jahresumsatz von acht Milliarden Peseten (121 Millionen Mark) soll jedenfalls verdreifacht werden. In einer Provinz, die mit gut 30 Prozent Arbeitslosigkeit und dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen Spaniens einen traurigen Rekord erreicht, sind das Zahlen, mit denen Politik zu machen ist. Kriegserklärung

an Flora und Fauna

Eine demagogische Politik und eine „offene Kriegserklärung“ an die Fauna und Flora eines in Europa einzigartigen Naturgebietes, wie die ökologischen Gruppen der Stadt meinen. Wobei ihnen die Pistenstrategen selbst die Argumente liefern. Im Plan Nieve heißt es ganz unumwunden, daß „natürliche Mängel des Gebirgsmassivs zu korrigieren sind“, „Mängel“ wie Bachläufe, Schluchten und Felsstürze, die den Schwung des expandierenden Skizirkus bremsen könnten. Auch mit den politischen und gesetzlichen Hindernissen für das Großprojekt ist man im Rathaus von Granada nicht zimperlich. Die betroffenen Gemeinden, Naturschutzverbände, ökologischen Gruppen und wissenschaftlichen Experten wurden erst gar nicht in die Planung einbezogen. „Alle Welt redet vom Plan Nieve, aber niemand von einem Plan über die ökologischen Folgen“, meint Pepe, einer der Sprecher der Kommission zur Verteidigung der Sierra Nevada. „Die erst im vergangenen Jahr verabschiedeten Landschaftsschutzbestimmungen für die Provinz Granada schreiben eine Untersuchung der möglichen Umweltbelastung bei Bauvorhaben in dieser Größenordnung dringend vor. Doch die entsprechenden Bestimmungen werden vom Leiter der Umweltschutzbehörde in Granada großzügig so ausgelegt, daß sie 'investitionsverträglich‘ bleiben.“

Dabei gäbe es allen Grund, das Gebirgsmassiv wenn schon nicht zum Nationalpark zu erklären, so wenigstens mit strikten Auflagen vor Bebauung und touristischer Nutzung zu schützen. In den aus der Ferne leblos erscheinenden Geröllhalden grünt und blüht ein ganz einzigartiger Steingarten. 67 endemische Gewächse sind hier zu Hause, viele ausdrücklich mit dem botanischen Beinamen „nevadensis“ versehen, die nirgendwo anders auf der Welt zu finden sind. In einigen Tälern haben sich Pflanzenarten der sogenannten Tundra erhalten, die sonst nur in Alaska, Grönland oder Sibirien zu finden sind. Die Unesco hat deshalb 1986 die Sierra Nevada zum Reservat der Biosphäre erklärt, ein Titel allerdings, der nur moralischen Druck auf die zuständigen Behörden ermöglicht. Ungehörte Alternativen

„Es gibt in den Schluchten der Sierra, zum Beispiel im Barranco de San Juan, Torfmoore, in deren Schichten die komplette Naturgeschichte Andalusiens abzulesen ist. Ausgerechnet da sollen nun neue Skipisten angelegt werden“, klagt Jose Luis Rosua Campos, Biologieprofessor an der Universität Granada. Seit sieben Jahren arbeitet er an Vorschlägen für einen wirksamen Landschaftsschutz, doch bislang sind sie alle in den Schubladen der Verwaltung verschwunden. Genauso wie sein Programm eines anderen Tourismus, der sich am landschaftlichen Reiz und den ökologischen Besonderheiten des Gebirges orientiert, der sich gleichmäßig auf die vorhandenen Dörfer verteilt und folglich auch ökonomisch nicht nur der Aktiengesellschaft und den Reiseunternehmen zugute kommt, die das Geschäft mit dem Schnee in den zentralisierten Hotelburgen betreiben. Auf lange Frist hält der Biologieprofessor allerdings einen sanften Tourismus auch ökonomisch für rentabel. „Was nützen die paar goldenen Eier, wenn der Legehenne dabei der Hals umgedreht wird?“ Überschwemmungen

und Erosionsgefahr

Die Schäden, die der wild wuchernde Skitourismus in den letzten 15 Jahren rings um die Station Sol y Nieve verursacht hat, sind schon jetzt alarmierend. Im Sommer fühlt man sich an den steinigen Abhängen des Veleta auf ein Panzerübungsgelände oder eine schlecht kaschierte Mülldeponie versetzt. Planierraupen und Baufahrzeuge haben die in diesen Höhen besonders sensible Pflanzendecke unwiderruflich zerstört und das Gelände einer starken Erosion ausgesetzt. Mit spürbaren Folgen für den Wasserhaushalt der gesamten Region. Denn die Pflanzen kanalisieren das Regen- und Schmelzwasser in unterirdische Adern, die ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem speisen. Viele der schon von den Arabern vor tausend Jahren gebauten „Acequias“ funktionieren noch heute. Sie haben es ermöglicht, große Teile vor allem im Süden des Gebirges in fruchtbare Obst- und Gemüsegärten zu verwandeln. In Monachil beispielsweise sind Überschwemmungen und Trockenheit an der Tagesordnung, seit sich einige Kilometer oberhalb des Dorfes die Pisten breitgemacht haben.

„Diese maßlosen Wohnanlagen mitten in der Sierra sind kriminell und dürfen nicht mehr genehmigt werden. Wir werden dafür kämpfen, daß das zur Bebauung freigegebene Gebiet um keinen Millimeter erweitert wird.“ Deutliche Worte des kommunistischen Bürgermeisters von Monachil, Jose Sevilla. Ohne die Zustimmung seines Gemeinderats, zu dessen Gemarkung das Skigebiet größtenteils gehört, kann tatsächlich nicht gebaut werden. Nutzen für wen?

Für das kleine Häuflein der aufrechten Umweltschützer in Granada ist Jose Sevilla zum Hoffnungsträger geworden. „Monachil will zwar eher den Kuchen umverteilen, statt den Entwicklungsplan grundsätzlich in Frage zu stellen. Aber dadurch ist wenigstens eine öffentliche Debatte in Gang gekommen.“ So sieht das jedenfalls Maria von der öko -pazifistischen Gruppe „Ciudad Alternativa“. Für sie ist der Plan Nieve eines von vielen Beispielen für ein politisches Konzept, das auf „touristische Leckerbissen“ für große Besuchermassen setzt, die auf einem Netz rücksichtslos geplanter Schnellstraßen durchs Land geschleust werden.

Und die 2.000 Arbeitsplätze? Für sie ist das pure Demagogie. „Es wird dabei doch völlig übergangen, daß der Wintersportbetrieb nur fünf Monate läuft, die Saison sogar nur Weihnachten und Ostern. Und was nützen diese Teilzeitarbeitsplätze denn schon, wenn damit gleichzeitig der Landwirtschaft am Fuß der Sierra buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen wird.“ Die gesamte Kalkulation des ehrgeizigen Projekts ist für sie ein Modell fall touristischer Fehlinvestition. „Darin sind unsere Politiker wirkliche Weltmeister. Da wird in großen Mengen öffentliches Geld locker gemacht für Straßen, Wasser, Strom und Abfall, damit das private Kapital schnelle und dicke Gewinne einstreichen kann, die dann oft noch bei den ausländischen Reiseunternehmen landen. Sie nennen das 'europäisch‘ und 'fortschrittlich‘. Wir nennen das, jemandem das Fell über die Ohren ziehen.“