Der Triumph des Epigonalen

■ Zur Ausstellung von David Salle in München

Andreas Zielcke

Der Vorteil, in einer Veranstaltung als letzter Redner dranzukommen, ist bekannt: die peinlichen Fragen sind bereits gestellt, die Verantwortungen verteilt, die Risiken des Fehlschlags haben die anderen getragen, der Frontverlauf ist sichtbar, das eigene Einordnen oder gar eine abschließende Stellungnahme quer zu den aufgetretenen Gegensätzen unschwer möglich. Souveränität ist daher oft nichts anderes als die Überlegenheit des Zuspätgekommenen. So funktioniert seit Hegel die Philosophie, so funktioniert die spätbürgerliche Kritik und so funktionieren im Augenblick einige der gefragten Tendenzen in der Malerei.

Sehr gefragt und sehr berechnend, souverän und geschickt die Chancen des Nachfahren nutzend, ist David Salle. Seine Malerei spielt mit krassen Gegensätzen zwischen unvereinbaren Stilen, ist spöttisch, subtil und vulgär, bedient sich historischer Vorbilder am laufenden Band und verfälscht gleichwohl die übernommenen Zitate nach Belieben. Nur eine auffällige thematische Schwerkraft in seinen Bildern setzt den stilistischen Freiflügen Grenzen. Viele Sujets sind auf eine seltsam starre Obsession fixiert. Ihn fesselt das weibliche Geschlecht.

Bedingung für den virtuosen Umgang mit Vorbildern und Klischees ist die Rückkehr zur gegenständlichen Malerei. David Salle gehört zu den jüngeren amerikanischen Malern, die diese oberflächliche Nähe zur Konventionalität bewußt suchen. Inzwischen ist es müßig, noch darüber zu sinnen, ob sie sich damit „postmodern“ verhalten oder nicht. Jedenfalls eröffnet Salle sich mit diesem Schritt zwei Optionen: Erstens wird der Übergang zwischen Malerei und Illustration durchlässig. Und zweitens dient die Kunstgeschichte nur dem, der figurativ malt, als frei zugängliche Asservatenkammer. Haben die Pop-Künstler die trivalen Idiome der Warenzeichen mit der Aura der großen Malerei versehen, erniedrigen Maler wie Salle große Vorbilder zu trivialen Elementen ihrer absichtlich durchsichtigen und „falschen“ Kompositionen. Daß mit diesen Optionen auch die Unterscheidung zwischen Avantgarde und Mode fällt, ist zwangsläufig.

„Sein Publikum muß visuell erfahren sein, spielerische Neigungen haben, ein Publikum, das in der Lage ist, Riberas klumpfüßige Straßenjungen, ein Freud-Porträt, eine Rops -Hure, eine Watteau- oder Dix-Zeichnung oder ein Gericault -Körperglied zu erkennen“ (schreibt der Kritiker Kevin Power über Salle). Nun, diese Spielerei findet wie gesagt ihre unübersehbare Schranke an der manischen Beschäftigung Salles mit dem entblößten weiblichen Körper. Aber es scheint auch, als ob umgekehrt diese libidinöse Beschränktheit und Besessenheit gleichzeitig den paradoxen „Drive“ der Bilder ausmacht: der Zwang, lockere Distanzen einzubauen.

Fooling with your hair (Mit deinem Haar spielen, 1986) ist ein typisches Beispiel. Wie viele seiner Bilder ist es in zwei Teile aufgeteilt, gespalten in scheinbar zusammenhanglose bildliche Hemispären. Der untere Teil imitiert die Technik bewegter Bilder. In verblichenem Schwarzweiß gedreht, stützt sich in dem linken Bildelement des Filmstreifens eine nur mit T-Shirt und hochhackigen Schuhen bekleidete Frau von einer Tischplatte hoch, auf der sie wie gewaltsam hingeworfen liegt, rollt sich auf den Rücken, macht sich ihre Situation schließlich zu eigen und räkelt sich jetzt, so liegenbleibend, in der Bildmitte, die Beine angezogen und dem Betrachter Schoß und Schuhe entgegenstreckend, um dann in der rechten Bildecke in unbequemer Lage mit ausgestreckten, aber frei schwebenden gespreizten Beinen und sturem Blick nach oben in der Bewegung innezuhalten; die Ruhe als Täuschung, die nur dadurch erzeugt wird, daß der Film absichtlich angehalten wurde. Das Objekt der Peepshow spielt teilnahmslos vorsätzlich mit, pervertiert aber ihre Rolle durch einen Balanceakt aus sportiver Anstrengung und kaltem Exhibitionismus. Es ist weniger der Inhalt als der Filmschnitt, der hier die asymmetrische Sprache der Pornographie versinnbildlicht.

Im oberen Teil des Bildes regieren dagegen reine Farben, zu Ovalen geformt, in die abwechselnd ein gezeichneter Jüngling (nach Watteau), zwei Lampen aus den fünfziger Jahren, eine Frauenbüste und eine Frauenstatue von Giacometti eingelassen sind. Das hat nichts mit den ehemals beliebten Collagen zu tun. Der Rhythmus der Ovale, die die präsentierten Objekte wie grelle Lichtkegel in alten Werbespots ausleuchten, wird durch das sich wiederholende Motiv der eingeschnürten Taille bei beiden Lampen, aber auch bei Büste und Statue konterkariert. Die Giacometti-Figuren sind freilich gegen die Zurichtung immun durch ihre eherne, bronzene Würde und Unnahbarkeit. Dagegen könnte der nur blaß aufgetragene Jüngling eine Andeutung des Hauptakteurs des ganzen Gemäldes sein, das zugehörige Phantom des bei Salle allgegenwärtigen hungrigen, aber impotenten Auges.

Wo die Verbindung der beiden Hälften bleibt? Wie in vielen anderen seiner Doppelbilder ist die gegenseitige Koppelung destruktiv und raffiniert zugleich, unernst und geistesabwesend genauso wie ein absichtliches wechselseitiges Dementi gegen die Authentizität eines Stiles. Der Betrachter wird auf banalste Weise gierig gemacht, gegen seine erste Stimulierung aber durch abruptes Wechseln der Spielregeln in ein malerisches, das heißt abstraktes Abenteuer gestoßen, das keine Ereignisse und Helden, nur verführerisch formvollendete Frustationen kennt.

Wenn das Hauptproblem der gegenwärtigen Malerei der Kampf gegen die naheliegende Bedeutung ist, dann tut sich die gegenständliche Malerei damit natürlich besonders schwer. Salles Lösung, durch die Aufnahme von Unvereinbarkeiten offensichtliche Bedeutungen zu denunzieren, verschafft ihm einen freien Spielraum für forcierte Selbstdisziplinierung.

David Salle, Ausstellung Staatsgalerie Moderner Kunst, München, bis 29.Januar 1989, Katalog zur Ausstellung 35 DM.