Schweigemarsch gegen Außländerhaß

Etwa 2.000 TürkInnen und Deutsche gedachten in Schwandorf der vier Toten, die ein Brandanschlag eines Rechtsradikalen gefordert hatte / Oberbürgermeister leugnet Rechtsextremismus und blieb zu Hause / Details einer aktiven rechten Szene kommen ans Tageslicht  ■  Aus Schwandorf Bernd Siegler

Mit Tränen in den Augen stehen junge TürkInnen vor dem abgebrannten Wohnhaus in der Schwandorfer Innenstadt. In den Händen halten sie große Schwarzweißporträts der Opfer des Brandanschlags vom 17.Dezember 1988 - drei türkische und ein deutscher Staatsangehöriger. „Osman, Fatma und Mehmet Can mußten sterben, weil sie Türken waren, Jürgen Hübener mußte sterben, weil er in einem Haus gewohnt hat, in dem Türken wohnten.“ Trauer und Wut klingt aus der Stimme des Vertreters des „Koordinierungsrats der Türken in Nordbayern“, der den Schweigemarsch am Samstag durch die Schwandorfer Innenstadt organisiert hat.

Etwa 2.000 Türken und Deutsche ziehen mit schwarzen, mit türkischen und mit deutschen Fahnen schweigend zu der Ruine des Wohnhauses, um gegen Ausländerhaß und diejenigen zu protestieren, die „die Wahrheit verleugnen“. Die „Wahrheit“ ist für sie, daß der 19jährige Josef S., der letzte Woche gestanden hat, den Brand „aus Wut auf Ausländer“ gelegt zu haben, nicht der „Einzelgänger“ war und ist, als den ihn Polizei und Oberbürgermeister Kraus (CSU) hinstellen.

Schwandorfs Stadtoberhaupt hielt es nicht einmal für nötig, sich der Demonstration anzuschließen. Es gibt für ihn „keinen Anlaß für eine solche Kundgebung“. Er will durch eine Teilnahme nicht den Eindruck erwecken, „daß hier in unserer Stadt ein Hort des Neonazismus wäre und als müßte man sich gegen solche Tendenzen wehren“. Währenddessen fordern Schwandorfs SPD, Grüne und DKP Konsequenzen. Sie wollen per Stadtratsbeschluß allen rechtsradikalen Parteien, Vereinigungen und Gruppierungen künftig die Nutzung öffentlicher Einrichtungen versagen.

Die Tat zeige, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Hey, daß in Schwandorf „rechtsradikales Gedankengut verbreitet ist und eine offensichtlich auch zur Gewalt bereite Szene besteht“.

Gegen diese Aussage verwahren sich Polizei und Staatsanwaltschaft vehement. Es gebe, so Justizpressesprecher Guerrein, keine Erkenntnisse, wonach Josef S. einer „rechtsradikalen Gruppierung oder Jugendclique angehört“. Gerichtsbekannt jedoch ist, daß Josef S. in einem Verfahren, in dem er als Zeuge auftrat, eine Gruppe von meist minderjährigen Skinheads, die sich im Stadtteil Ettmannsdorf treffen, als „seine Leute“ bezeichnet hatte.

„Wir haben keinen Gruppennamen, bei uns gibt es keinen Chef. Sie unternehmen auch Aktionen, ohne daß ich was weiß“, berichtete der 19jährige. Für „seine Leute“ besorgte S. Aufnäher und Aufkleber der „Nationalistischen Front“. Vor Gericht gab er zu, daß er „keine Türken und Punker leiden“ könne. Auch soll S. mehrmals nach Bielefeld, ins Zentrum der „Nationalistischen Front“, zu überregionalen Treffen gefahren sein.

Daß Josef S. Flugblätter der „Jungen Nationaldemokraten“ verteilt hatte, müßte der Polizei schon seit Januar 1986 bekannt sein. Damals erstattete der Schwandorfer Helmut Orlowski Strafanzeige gegen S. wegen eines Verstoßes gegen das Presserecht. Das Impressum war unvollständig.

Während derartiges beispielsweise in Zusammenhang mit Flugschriften gegen die WAA unnachsichtig verfolgt wird, stellte die Staatsanwaltschaft dieses Verfahren am 21.März 1986 ein. Staatsanwalt Lengsfeld gestand Josef S. zu, „mit seinem aus persönlicher Verärgerung heraus entstandenen Verhalten weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit“ begangen zu haben. Die Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg schloß sich dieser Version an.

Auch der Überfall von „Heil Hitler“ und „Juden raus“ brüllenden Skinheads in der Neunburger Diskothek „Charly M.“ am 16.Juli 1987 gibt Kripo-Pressesprecher Scheibel nicht zu denken. „Keine Hinweise auf rechtsradikale Gruppierungen im Landkreis.“ In der Disko gab es damals zwei Schwerverletzte, die Skinheads aus dem Schwandorfer, Neunburger und Nabburger Raum flüchteten mit ihren Autos. Die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruchs verliefen ebenso im Sand wie im Falle des Besitzers des türkischen Ladens in Schwandorf. Die Fassade seines Geschäftes war beschmiert, auf die Motorhaube seines Autos ein großes Hakenkreuz eingeritzt worden. In Schwarzenfeld wurde eine Plakatwand der Anti-WAA-BI von stadtbekannten Skins mit „Rotfront verrecke“ überschmiert - nichts geschah.

Während Polizei und Justiz ihre Version vom „Einzelgänger ohne Umfeld“ hegen und pflegen, sind dem SPD-Landrat Hanns Schuierer „derlei Umtriebe im Landkreis nicht verborgen geblieben“. Mit rechtsradikalen Gruppen hat er zwar wenige Erfahrungen, dafür um so mehr mit anonymen Briefeschreibern. In zwei Leitz-Ordnern stapeln sich Drohbriefe mit eindeutigem Jargon, darunter viele aus der Oberpfalz: „Erst wenn wir dich rotes Dreckschwein am Bauzaun aufhängen, kommt wieder Ruhe nach Wackersdorf“ oder „Haut ab aus Bayern, ihr Sozialisten, und nehmt die Landfremden mit.“