Welches Schweinderl hätten's gern?

■ Die Fernsehnation trauert um Robert Lembke

Jetzt ist er tot, der ARD-Beruferater Robert Lembke, der es mit 337 Sendungen zur längsten Serie der jungen Fernsehgeschichte gebracht hat. Da werden diejenigen in den Sendern jubilieren, die schon lange dieses sklerotische Ratespiel der fünf Personen plus Gast eliminiert wissen wollten. Programmreform ist angesagt. Doch knappe zehn Millionen Zuschauer sind nicht so leicht zu haben, auch weil die private Konkurrenz im Unterhaltungssektor nicht schläft.

Die Fernsehnation trauert um einen, der so war wie sie. Nun könnte es mir ja eigentlich egal sein, habe ich diese bierernst-fröhliche Runde aus Bayern doch schon Jahre nicht gesehen; gleichwohl gab es ein beruhigendes Gefühl zu wissen, da sind noch welche, die man kennt: Hans Sachs, der Oberstaatsanwalt aus Nürnberg mit seiner Fliege, der auch mit der Larve noch einen imposanten Eindruck machte; die allzeit-frische Marianne, die als promovierte Ärztin bei medizinischen Themen einige Male total daneben moderierte, dann G-u-i-d-o, wie mein Vater immer sagte, der Schweizer Kollege, und schließlich Anett(e), die schon immer etwas streng auf mich wirkte. Wir sind zusammen alt geworden, 34 Jahre lang. Das verbindet. Ich kenne sie, seit wir den ersten Fernsehapparat bekamen. Sie sind mir vertraut wie Tante Gertrut aus Paderborn und Onkel Josef aus Bad Salzufflen, die auch dann noch zu meiner Familie gehören, wenn ich sie lange nicht gesehen habe. In einer Zeit, in der die Kanäle explodieren und die komplizierten und hochgestylten Unterhaltungssendungen schneller wieder abgesetzt werden als man sich die Namen der Quizmaster merken kann, da sind Lembke und seine Sendung ein Stück Heimat im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewesen.

Nun verschwinden sie alle, die mich beim Erwachsenwerden begleitet haben: zuerst Hans-Joachim Kulenkampff, der nur noch um Mitternacht zu sehen ist, wenn er seine todernsten Geschichten zur Nacht liest, dann Werner Höfer, der von seiner Vergangenheit eingeholt wurde, und jetzt er, der Nestor des Rätsel-Fernsehens, dessen Nachfolger immer lauter, schriller und elektronisch spektakulärer werden, um die Massen bei der Stange respektive beim Einschaltknopf zu halten. Er, der mit Chris Howland und Otto Höpfner in den fünfziger Jahren die bundesdeutsche Fernsehunterhaltung geprägt hatte, kam da mit einfacheren Requisiten aus: mit der Tafel, auf die die Kandidaten ihren Namen schrieben, den Masken, die das Rateteam anlegte, sobald der bekannte Ehrengast das Studio betrat und ein Raunen ob seiner Berühmtheit durch die Zuschauerreihen ging, dem Gong, der das Zeichen gab, die Augen zu schließen, während die zu erratende Berufsbezeichnung eingeblendet wurde, und schließlich die fünf Mark-Stücke nebst Schweinderl, dessen Farbe der Gast auswählen durfte. Nicht zu vergessen Struppi, der Terrier, den die ganze Fernsehnation für einen Rüden hielt, weswegen er auch körbeweise unsittliche Anträge von Hundehaltern bekam, und schließlich die Geste, die typische Handbewegung des Berufsausübenden - das war das dürftige puritanische Ambiente dieses Quiz-Fossils aus der Zeit der Nierentische und Couchgarnituren.

Wenn man heute sieht, mit welch kompliziertem Instrumentarium die Chefs der Unterhaltungsabteilungen versuchen, das Publikum einzubinden, Zuschauerpartizipation oder Feed Back nennt man das wohl, dann erkennt man erst, wie meisterlich diese Sendung konzipiert ist: Man schließt die Augen, und wenn der Gong ertönt, ist man dabei, fragt zögernd und bedächtig wie Guido und scharf und furchtlos wie Hans Sachs dieses sprachbildende „Geh-ich-recht-in-der -Annahme-daß?“

So hat er es geschafft, daß ihm die ganze Fernsehnation zusah, 30 Prozent waren das. Sie haben diesem lebenden Anachronismus die Treue gehalten, auch wenn es um ihn herum immer schriller und lauter wurde. Mit seiner Sendung war er eine Institution, ein letztes Relikt einer Zeit, als zum abendlichen Fernsehempfang man sich festlich gekleidet vor dem Apparat versammelte, um im Habitus eines Theaterbesuches auf den Bildschirm zu glotzen. Ein Andenken an die Jahre, als der Umgang mit dem neuen Medium noch nicht alltäglich und selbstverständlich war, sondern erst erlernt werden mußte. Bei dieser Sendung war die Nation bei sich, hier durfte sie sein, wie sie war: nett. Deshalb war der Berufskundler Lembke auch so beliebt.

ks