Ein Wahlkampf ohne Phantasie

Auf den Wahlplakaten 1985 ließ die CDU noch die von den meisten Berlinern so geliebten Dackel für sich marschieren, diesmal marschiert Eberhard Diepgen alleine („Ihn braucht Berlin“). Als er 1984 den Platz einnahm, den vorher Richard von Weizsäcker ausfüllte, traute dem kleinen, etwas unscheinbaren CDU-Fraktionsvorsitzenden mit dem aschblonden Haar keiner den Regierenden Bürgermeister zu.

Doch diese Zeiten sind vorbei. Wen die einstudierte penetrante Staatsmann-Rhetorik nicht stört und wer nicht vehement gegen die CDU ist, der mag Diepgen. Zwischen 55 und mehr als 60 Prozent - die Zahlen schwanken je nach Umfrage stimmen Eberhard Diepgen und seiner Politik zu. Und immerhin 11 Prozent aller AL-Anhänger und 39 Prozent der SPD-Wähler würden, wäre das möglich, Eberhard Diepgen direkt zum Regierenden Bürgermeister wählen.

Längst nicht so fest im Sattel - auch nach dem voraussichtlichen Wahlsieg der CDU-FDP-Koalition - sitzen einige der Senatoren. Der Senator für Verkehr und Betriebe, Edmund Wronski (CDU), hat die Nase voll und zieht sich aufs Altenteil zurück. Jugendsenatorin Cornelia Schmalz-Jacobsen hat bereits ihr Büro als FDP-Generalsekretärin in Bonn, Innensenator Wilhelm Kewenig, derzeit im Strudel des Verfassungsschutzskandals, wird möglicherweise in den Koalitionsverhandlungen mit der FDP untergehen. Ulf Fink, sozialpolitischer Vordenker der CDU, hätte längst bundespolitische Karriere machen können, ihn hält nur noch die Pflicht. Und George Turner, seit 1986 Senator für Wissenschaft und Forschung hat seine erste Bewährungsprobe, die Studentenstreiks, nicht bestanden. Mit Buhrufen wurde er am letzten Sonntag auf der CDU-Großveranstaltung in der Deutschlandhalle empfangen, von den oberen Rängen hing ein Transparent: „Wer hat die Unis verraten - Senat und Christdemokraten“. Das Schlimmste: Viele der „Störer“ kamen aus den eigenen Reihen - aus dem RCDS und der Jungen Union.

Die Stärke des CDU-FDP-Senats liegt in der Schwäche der Opposition. Dabei ist es, folgt man den Demoskopen, die SPD, die die drängendsten Probleme der Menschen aufgreift. Wohnungsnot und Mieten standen für die im Auftrag des 'Stern‘ Befragten an erster Stelle - das Thema der Sozialdemokraten. Und die 11 Prozent Arbeitslosigkeit in Berlin. Doch allein mit Themen ist keine Politik zu machen. Und Entwürfe für die Zukunft trauen die Berlinerinnen und Berliner den Sozialdemokraten nicht zu.

Die auf dem letzten Parteitag signalisierte Öffnung hin zu intellektuellen und künstlerischen Kreisen jedenfalls wird von der Mehrheit der Parteimitglieder nicht gutgeheißen. Man will sich vor allem kein linkes Image einhandeln. „Wir müssen diejenigen zurückgewinnen, die wir 1985 an die CDU verloren haben“, sagt Wahlkampfleiter Nagel.

Kein Wunder, daß die Sozialdemokraten die jüngsten Avancen der AL („Zusammenarbeit bis hin zur Koalition“) mit eisiger Zurückhaltung aufnahmen. Über Koalitionen rede er vor den Wahlen nicht, sagte Momper und beging gleich hinterher die Ungeschicklichkeit, auf die Frage, mit wem er es sich denn grundsätzlich vorstellen könne, zu antworten: „Mit allen dreien gleich.“ Folge: Prügel von allen Seiten. Die Medien hatten ihr Thema, Momper die Negativschlagzeilen.

Dabei hatten es Teile der AL ernst gemeint. Mit einem Koalitionsangebot wollten sie dem lahmen Wahlkampf noch einen Kick geben und die vielen Unentschlossenen an die Urne locken. Durchaus im eigenen Interesse, denn der nur noch knapp 3.000 Mitglieder zählenden Alternativen Liste werden leichte Verluste vorausgesagt. Um die 10 Prozent soll die AL Stimmen bekommen. 1985 waren es 10,6 Prozent.

„1985 haben wir es versäumt, eine Koalitionsaussage zu machen“, meint Fraktionsvorsitzender Wolfgang Wieland. „An uns jedenfalls soll die Ablösung des Diepgen-Senats nicht scheitern.“ Dabei weiß auch Wieland, daß eine rot-grüne Mehrheit seine Partei in große Schwierigkeiten bringen würde. In der aktiven Basis der AL sind die Fundamentalisten in der Mehrheit, und die haben bereits reagiert. Bei Christian Ströbele, Mitglied im Parteivorstand, stand am Tag nach dem Koalitionsangebot an die SPD das Telefon nicht mehr still. Enttäuschte Fundis wollen nun endgültig der Liste die Stimme verweigern.

Dem Berliner Wahlkampf fehlen nicht nur die Themen und Kontroversen, er regt noch nicht einmal die Spaßguerilla zu Aktionen an. Trostlos hängen die Plakate aller Parteien, kaum sind sie geklebt in Fetzen von von den Wänden. „Don't happy, be worry“ war noch der einzig kreative Spruch, der ein CDU-Plakat veränderte. Hinter das „Ihn braucht Berlin“ ein „nicht“ zu setzen, bedurfte es schließlich nicht gerade großer Phantasie.

Brigitte Fehrle