Deutsche Märsche für die belgische Teilung

Belgiens Rechtsextreme sind vor allem in Flandern auf dem Vormarsch / Mit ihrer Propaganda gegen Ausländer und frankophone Belgier gewinnen sie beim Wahlvolk wieder Symphatie / In Groß-Europa soll die weiße Rasse vorherrschen / Auch die verbotene Privatmiliz „Vlaams militanten Orde“ fühlt sich wieder stark  ■  Von Henk Raijer

Fatima Bali aus Antwerpen tauchte gleich nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses vom 9.Oktober 1988 erst mal unter. Die Aussicht, es während der nächsten vier Jahre mit zehn stadtbekannten Ausländerhassern aufnehmen zu müssen, wurde ihr offenbar zu viel. Fatima (22), naturalisierte Immigrantin aus Marokko, ist eine von fünf Fraktionsmitgliedern der belgischen Grünen (Agalev) im Stadtparlament von Antwerpen. Nicht nur für sie kam der 500prozentige Mandatszuwachs des rechtsextremen „Vlaams Blok“ im Antwerpener Stadtparlament wie ein Schock. Mitglieder und Anhänger dieser Partei feierten in der Nacht nach dem historischen Ergebnis indes ihren Wahlsieg in den einschlägigen Antwerpener Kneipen. Ein Blick in deren Inneres überzeugt auch den letzten Zweifler, daß für Belgiens Ewiggestrige die Zeit der Scham vorbei ist: Rudolf Hess blickt wohlwollend auf die Schar Khaki- und Naziuniformierter herunter, nicht selten schmettert die Juke -Box deutsche Marschmusik in den Raum, und Stammgäste singen voller Inbrunst Horst-Wessel-Lied und Südafrikas Nationalhymne.

Zehn Abgeordnete des flämisch-nationalistischen „Vlaams Blok“ bilden seit dem 9.Oktober die drittstärkste Fraktion im Antwerpener Rat. Als Zufall kann man diese 20 Prozent für die Rechtsextreme in Belgiens kosmopolitischer Metropole allerdings nicht bezeichnen: Den Trend gibt es nicht erst seit jenem unseligen Sonntag im Oktober; bereits bei den Wahlen zum nationalen Parlament im Dezember 1987 erhielt der „Blok“ zehn Prozent der Antwerpener Stimmen.

Tradition der Kollaborateure

Daß Staatsorgane Gedankengut und Methoden rechtsextremer Gruppen verinnerlicht haben, offenbaren die Brutalität der Polizei bei Übergriffen gegen „Ausländerkriminalität“ und die Tatsache, daß noch vor zwei Jahren Belgiens Innenminister Michel die Immigranten aus Nicht-EG-Staaten unwidersprochen als Barbaren bezeichnen konnte. Die traditionellen Volksparteien befinden sich in der komfortablen Lage, daß sie die radikalen und nicht mehrheitsfähigen Forderungen vom rechtsextremen Spektrum formulieren lassen können.

Die Brüsseler Sozialisten Picque und Moureau zum Beispiel fordern seit 1987 den sofortigen Einwanderungsstopp, wettern gegen den Entwurf des Ausländerwahlrechts und befürworten die Bildung einer Sonderkommission zur Prävention von „Ausländerkriminalität“.

Roger Nols, Bürgermeister des Brüsseler Stadtteils Schaarbeek, einer der alten Volksbezirke mit hohem Immigrantenanteil, begann seinen Kreuzzug gegen Immigranten vor gut 15 Jahren. 1970 noch als Liberaler (FDF) zum Bürgermeister gekürt, schaffte er sich 1983 seine eigene Liste N.O.L.S. (Nouvelles Orientations des Libertes Schaarbeekoises), mit der er durch ein Direktmandat im Amt bestätigt wurde. Spätestens seit seinem Interview mit der rechtsextremen Kampfschrift 'Nouvelle Europe Magazine‘ und einem Empfang für Frankreichs Le Pen (1984) hat der populistische Bürgervater die letzten demokratischen Hüllen fallen lassen. Die zahlenmäßig stärksten Parteien der extremen Rechten in Belgien „Front de la Jeunesse“, die Bewegung „Rex“ des Altnazis Leon Degrelle sowie der „Vlaams Blok“ sehen sich in der Tradition der Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht 1940-45. Belgiens Regierung rechnete fest mit einem deutschen Sieg, Kollaboration und Judenverfolgung wurden nicht in Frage gestellt. Die erste Razzia im Antwerpener Judenviertel im Juni 1941 wurde von der örtlichen Polizei durchgeführt. Flanderns Nationalisten ihrerseits erhofften sich durch die Kollaboration mit den Nazis die Zerschlagung des verhaßten belgischen Staates und die Gründung eines unabhängigen Flandern.

Die Verfolgung und Verurteilung führender flämischer Kollaborateure nach dem Krieg radikalisierte die Bewegung erst recht, wenn sie auch fürs erste in der Klandestinität operieren mußte. Nach dem Krieg gab jede größere politische Krise in Belgien, sei es die Kongo-Krise, Streiks, die Monarchie-Frage oder der Sprachenstreit der extremen Rechten Auftrieb. Belgien kennt seit einigen Jahren einen wahren Wildwuchs an rechtsextremen Gruppierungen.

Vom Ergebnis her nehmen die frankophonen „Front National“, „Front de la Jeunesse“, „Delta“ oder die „Parti de Forces Nouvelles“, die sich öffentlich sorgen über die Zukunft Europas, einen bescheidenen Rang ein. Im Gegensatz dazu die Flamen: der „Vlaams Blok“, 1978 aus der flämisch -konservativen „Volksunie“ (VU) ausgeschieden, hat bei seinen Wahlerfolgen profitiert von der Tatsache, daß viele Flamen die Regierungsbeteiligung der „Volksunie“ als Verrat an der flämischen Sache werten. Seit Gründung der Partei bemühen sich die „Blok„-Aktivisten um das Image einer volksnationalen, flämisch-radikalen, rechten Partei, die nicht nur Hunderttausende Immigranten abschieben möchte, sondern offen auch den Terror gegen ihre französich -sprachigen Landsleute auf die Fahnen schreibt.

Ruf nach flämischem Staat

Die politische Programmatik des „Vlaams Blok“ stützt sich auf drei Grundforderungen: Amnestierung aller Nazi -Kollaborateure, autonomen flämischen Staat und rassisch reine Gesellschaft. Karel Dillen, Eric Deleu, Roeland Raes und Gerolf Annemans, die Führungsmannschaft des „Vlaams Blok“, verzichten zusehends auf den letzten Rest demokratischen Scheins. Der 30jährige Rechtsanwalt Annemans bekennt sich im Brüsseler Parlament offen zu seinen großeuropäischen Ideen von der autoritären Gesellschaft unter Vorherrschaft der weißen Rasse.

Die gut gekleideten jungen Männer mit den gepflegten Manieren suchen seit 1985 öffentlich Anschluß an die seit Ende der siebziger Jahre verbotene Privatmiliz „Vlaams Militanten Orde“ (VMO). Diese Gruppe um den heutigen Vorsitzenden Werner van Steen fühlt sich wieder stark genug, im Konzert der europäischen Rechten im kommenden Jahr kräftig mitzumischen. Der VMO gilt als die Plakat- und Knüppelgarde des „Vlaams Blok“.

Im Stile eines paramilitärischen Kommmandos, ausgerüstet mit Stöcken und Helmen, verübt der VMO seit Anfang der siebziger Jahre Anschläge auf Synagogen, Zeitungen, Buchläden und Immigrantencafes. Am 12.September 1984 wurden Patrick Vergouwen und Luc Onbekent wegen versuchten Todschlags eines Marokkaners zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Während der Verhandlung konnte das Gericht ein komplettes Netzwerk militärischer Übungslager in Antwerpen, Nimes (F) und Emmereuth (D) entwirren. An den Übungslagern nehmen regelmäßig Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann teil. Auch mit der deutschen Wiking Jugend sowie mit dem Ku Klux Klan unterhält die Truppe Kontakte. Trotz dieses Images genießt der VMO die Unterstützung achtenswerter Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft und entlehnt dieser die Legitimation für seine Schreckensherrschaft auf Belgiens Straßen. „Rechts ohne Komplexe“ lautet das Motto, mit dem sich Belgiens Nationalisten in den Europa-Wahlkampf stürzen.