Ökumene zur Situation der Juden in Osteuropa

■ Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie informierten Juden aus der DDR, aus Ungarn und aus Polen über die Lage des Judentums in ihren Ländern / Perspektiven des Judentums: „Vergangenheit darf nicht Inhalt der Zukunft sein“

Berlin (taz) - „Vermächtnis und Situation des Judentums in Osteuropa und der DDR“ lautete das Motto einer Wochenendtagung, die von der Evangelischen Akademie in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Berlin veranstaltet wurde.

Die Situation der Juden, mithin der Antisemitismus, ein Thema in der DDR? Über Geschichte und Situation der jüdischen Gemeinden in der DDR informierten Robin Ostow, Autorin des Buches „Juden in der DDR“ und Peter Kirchner, seit 18 Jahren Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde von Ost -Berlin.

In der DDR habe man offiziell kein Problem mit Minderheiten - abgesehen von der nationalen Minderheit der Sorben in der Lausitz gibt es keine.Erklärtermaßen gibt es auch keine öffentliche Diskussion über die Lage der Juden. 400 registrierte Mitglieder zählen derzeit die acht jüdischen Gemeinden in der DDR, 200 davon leben in Berlin. Schätzungen zufolge handelt es sich bei den eingetragenen Mitgliedern um 10 Prozent der tatsächlich in der DDR lebenden Juden.

Quantitativ fällt eine solche Minderheit nicht ins Gewicht. Tatsächlich hat die jüdische Gemeinde im öffentlichen Bewußtsein der DDR keine Rolle gespielt. Antisemitische Tendenzen , so Kirchner, habe es nicht gegeben - selbst die Vorkommnisse Anfang der 50er Jahre seien vielmehr antizionistischer, antiimperialistischer Natur gewesen.

Neonazistische Aktionen von Skinheads in der DDR waren Anlaß, außenpolitische Ambitionen der Grund dafür, daß dieses Thema in jüngerer Zeit mehr in die Öffentlichkeit geriet und damit auch das Problem, das eine Gesprächsteilnehmerin als „unbewußten Antisemitismus“ benannte.

Dem Budapester Soziologen Andras Kovacs gelang in seinem Tagunsbeitrag zu geschichtlichen Aspekten der heutigen Standortbestimmung der Juden in Ungarn die präziseste Analyse. Deutlich wurde hier, was ebenso für die Situation in anderen Ländern gilt, daß es sich bei „den Juden“ nicht um eine homogene Gruppe handelt.

Im heutigen Ungarn gibt es 100.000 Juden, 90.000 davon in Budapest, 15 Synagogen existieren in der ungarischen Metropole. Der relativ hohe Anteil der jüdischen Bevölkerung ist unter anderem damit zu begründen, daß Adolf Eichmann in Ungarn nur die kurze „Wirkungsdauer“ von April bis August 1944 verblieb für die Deportation aus ländlichen Gebieten. Zur Deportation der Budapester Juden ist es nicht mehr gekommen.

Stanislaw Krajewski, Mathematiker aus Warschau, traf eher persönliche Aussagen: „Ich lebe heute als Jude in Warschau“. Einer neueren Tendenz zufolge, die ähnlich auch in der DDR zu beobachten ist, übt das Judentum eine starke Faszination aus, wenngleich in Polen eine Art von Feindbild seitens der starken katholischen Kirche einerseits, andererseits das Bild vom Juden als „gutem Polen“, bedingt durch die jüngere Geschichte, mitschwingt. Etwas mehr als 5.000 jüdische Mitglieder gehören zu Organisationen, zumeist die Älteren. Für die Jüngeren sind die herkömmlichen und meist orthodoxen Institutionen nicht attraktiv genug.

Er selbst - so Krajewski - sei über die marxistische Erziehung, später über die Hippiebewegung, östliche Religionen und den Katholizismus zu den Wurzeln der jüdischen Tradition, seiner Herkunft gekommen und versteht sich als religiöser, nicht orhodoxer Jude mit einer starken Affinität zu Israel, dem Land der Väter. Seine Entwicklung sei in gewissem Maß verallgemeinerbar für viele seiner Generation, die nach dem Krieg aufgewachsen sind.

Wo liegen die Perspektiven des Judentums in Osteuropa, in der DDR? Robin Ostow versuchte eine Situationsbeschreibung der Juden als Schicksalsgemeinschaft, als Gemeinschaft der Verfolgten, als Hüter der Erinnerung und für die Lebensfähigkeit des Judentums Inhalte zu formulieren.

Andras Kovacs resümierte, daß Vergangenheit nicht Inhalt der Zukunft sein könne und sieht Möglichkeiten beispielsweise auf dem Gebiet der Kultur, einer urbanen, weltoffenen bürgerlichen Kultur, wobei in jedem Land unterschiedlich die Frage steht, was überhaupt möglich sei, und ob das, was möglich sei, erwünscht ist.

Hannelore Fischer