Dissidentenhatz im Prager Fernsehen

Streit in der tschechoslowakischen Parteiführung über Polizeieinsatz gegen Demonstranten und Passanten in Prag  ■  Aus Prag Klaus Bachmann

In der tschechoslowakischen Parteiführung soll es zu einem Streit über die Angemessenheit des Polizeieinsatzes gekommen sein, durch den am Montag wiederum eine Kranzniederlegung und eine sich anschließende Demonstration von etwa 500 TeilnehmerInnen in Prag gewaltsam aufgelöst wurde. 14 Mitglieder der Bürgerrechtsbewegung, darunter Vaclav Havel und die Sprecherin der Charta 77, Dana Nemcova, waren gestern abend noch in Haft. Frau Havel erklärte, bislang sei noch nicht klar, ob die Bürgerrechtler nur verhört worden seien oder ob Anklage erhoben werde.

Entgegen üblichen Gepflogenheiten verlas das tschechoslowakische Fernsehen am Montagabend die Adressen und persönlichen Daten der festgenommenen Dissidenten in voller Länge. Die BürgerrechtlerInnen wurden zu „asozialen Elementen“ und „Provokateuren“ erklärt, „von denen einige nicht einmal arbeiten“. Im Gegensatz zu Sonntag machte die staatliche Nachrichtenagentur CTK diesmal nicht „westliche Kräfte“ für die Kundgebung verantwortlich, sondern sprach von inländischen „Gruppen staatsfeindlicher Elemente“, die die öffentliche Ordnung durch „aggressives Verhalten“ gestört hätten. Die Presse der Hauptstadt, die gestern mit Verspätung erschien, zitierte Pressestimmen aus anderen Staaten des Warschauer Pakts, in denen von antisozialistischen Aufrührern die Rede ist. Auch die sowjetische Nachrichtenagentur TASS veröffentlichte einen Kommentar, der aus Passagen besteht, die der tschechoslowakischen Parteipresse entnommen wurden - und nun von dieser wiederum zitiert werden. Wie schon am Sonntag hatte die Polizei am Montagnachmittag Tränengas und Hunde eingesetzt, um ein kleine Gruppe von DemonstrantInnen daran zu hindern, einen Kranz vor dem Denkmal des heiligen Wenzel niederzulegen, um des Studenten Jan Palachs zu gedenken. Die Polizei blockierte die Gruppe und provozierte damit einen Menschenauflauf von etwa fünfhundert Personen. Plötzlich wurden Wasserwerfer aufgefahren, die wahllos auch auf kleinste Menschengruppen zielten. Polizeiketten gingen mit Schildern und Schlagstöcken vor. Passanten, die ebenfalls angegriffen wurden, riefen „Gestapo!“ und „Svoboda!“ (Freiheit).

Wie schon am Vortag legte der Polizeieinsatz Verkehr und Geschäftsleben in der Altstadt völlig lahm. Nach heftiger Kritik aus der Bevölkerung wurde die Parteimiliz, die die Polizei unterstützen sollte, am Montag aus dem Einsatz zurückberufen. Das Radio schwieg sich über die Kundgebung am Montag aus. Nur die 'Vercerni Praha‘, eine Boulevardzeitung, zitiert ordentliche Bürger mit den Worten, es sei besser zu arbeiten als zu demonstrieren, und die Aufrührer müßten mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft werden. Von den am Sonntag Festgenommenen waren am Montag bis auf zwei alle wieder frei.

Für kommenden Sonntag plant die Charta 77, einen Schweigemarsch zum Urnengrab von Jan Palach in Vsetaty. Palach war 1969 ursprünglich in einem Ehrengrab auf dem Prager Zentralfriedhof beigesetzt worden. Später ließen die Behörden seinen Leichnam ohne Wissen der Familie exhumieren und einäschern.