Dozentin Ingrid Strobl

■ Marburger StudentInnen beantragen Lehrauftrag

Marburg (taz) - „Vielleicht hätte man die Geschichte gar nicht an die große Glocke hängen sollen, dann wäre sie genauso über die Bühne gegangen, wie so manche andere Personalentscheidung am Fachbereich Politikwissenschaften der Marburger Philipps-Universität“, spekuliert ein studentischer Gremienvertreter. Im Mittelpunkt der Personaldebatte, über die sich in Marburg derzeit die kritischen Geister erhitzen, steht die unter anderem wegen Paragraph129 in Untersuchungshaft sitzende Ingrid Strobl für die einen durch ihre wissenschaftliche Laufbahn qualifiziert, von anderen ob ihrer mutmaßlichen politischen Aktivitäten gefürchtet.

In Zusammenarbeit mit Studierenden beantragte der Politologie-Professor Fülberth die Vergabe eines Lehrauftrages mit dem Thema „Frauenwiderstand im besetzten Europa“ zum Sommersemester'89 an Ingrid Strobl.

Damit sollte endlich eine Lücke am Fachbereich Politikwissenschaften geschlossen werden: der fehlende feministische Schwerpunkt. In der Berufung Frau Dr.Strobls sehen die Studierenden gleich mehrere Vorteile: Ihrer Ansicht nach könnte die Stelle mit einer qualifizierten Wissenschaftlerin besetzt werden, die sich nach ihrer Promotion zum Thema „Rhetorik im Dritten Reich“ schwerpunktmäßig durch die Publikation von Frauenthemen einen Namen gemacht hat. Zusätzlich soll die Berufung einen „Akt der Solidarität darstellen“. Die Studierenden wollten deutlich machen, daß „sich kritische Wissenschaft dem repressiven Druck staatlich verordneter Opportunität nicht beugen darf“.

Eine Gefährdung des „Ökologischen Gleichgewichtes“ des ehemals als „kommunistische Kaderschmiede“ deklarierten Institutes befürchtet die Mehrzahl der Marburger ProfessorInnen. Die Evolution hin zu einer „terroristischen Kaderschmiede“ schien für manche bereits allein durch die Antragstellung vollzogen. Folgerichtig stimmten sechs der zehn Gremienmitglieder dem Vorschlag auf Nichtbefassung zu. Sie hofften, das Problem damit aus der heilen Gremienwelt geschafft zu haben. Doch in der Philosophischen Fakultät, die seit vergangener Woche bestreikt wird, konstituierten die GesellschaftswissenschaftlerInnen eine Arbeitsgruppe „Deutscher Herbst“. Diese AG sowie etwa 70 UnterzeichnerInnen beharren in einem offenen Brief auf die Vergabe des Lehrauftrags an Ingrid Strobl, statt sich mit einem eventuellen Gastvortrag zufriedenzugeben. Auch Ingrid Strobl würde einen Lehrauftrag gerne annehmen, ließ sie durch eine Rechtsanwältin mitteilen.

T. Haselbaier/A. Friedrich