Giftgas-Entwicklungshilfe im Nahen Osten

■ Irak 1984 - Libyen 1989: Die Geschichten von Vertuschung und Enthüllung gleichen sich fast aufs Haar / Whi is who im Libyen-Geschäft

Die Erkenntnisse der US-Regierung seien ja „nicht gerichtsverwertbar“ - damit windet sich Bonn im Fall Libyen aus der Affäre. Die gleiche Sprachregelung wie 1984, als bundesdeutsche Hilfe für die Giftgasproduktion des Irak angeprangert wurde. Beide Male übrigens ausgelöst durch eine Veröffentlichung der 'New York Times‘. Nach der Erfahrung von 1984 fühlen sich die US-Amerikaner durch Kohl, Genscher und Co. diesmal regelrecht verarscht.

Beim Antrittsbesuch des neuen bundesdeutschen Wirtschaftsministers in Washington herrschte nicht nur eitel Sonnenschein. Ohne große Umschweife kam US-Außenminister Shultz zur Sache: der für den Export zuständige Mann in Bonn solle umgehend Lieferungen deutscher Firmen, die im Empfängerland zur Produktion von chemischen Waffen benutzt werden, stoppen. Die amerikanische Regierung habe Beweise, daß die angeblich zur Produktion für Pflanzenschutzmittel gelieferten Anlagen tatsächlich zur Herstellung von Giftgas in großem Umfang eingesetzt werden. Der Beweis: Satellitenfotos und weitere Erkenntnisse des US -Geheimdienstes.

Bonns amtlicher Exportförderer zeigte sich beeindruckt. Die Bundesregierung, so versprach er seinem amerikanischen Kollegen, werde den Hinweisen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln nachgehen. Das Problem sei tatsächlich sehr ernst. Der Name des besorgten Herrn: Martin Bangemann.

Das Gespräch in Washington fand Ende Juli 1984 statt. Drei Monate zuvor, im März 1984, hatte die 'New York Times‘ berichtet, bundesdeutsche Firmen seien am Aufbau einer Giftgasproduktion im Irak beteiligt. Nach Bangemanns Rückkehr forderte Kanzler Kohl im Kabinett Abhilfe: „Schafft mir das Problem vom Hals, egal wie“, blaffte er seine Ministerrunde an. Doch statt damals die Beteiligung bundesdeutscher Firmen am Aufbau von Giftgasproduktionen ein für allemal zu verhindern, verschleppte der Generalist auf dem Kanzlersessel das Problem Irak - und sitzt nun wieder bis zur Halskrause in einem Chemiewaffensumpf.

Der Rückblick auf 1984 erhellt, warum das Vertrauensverhältnis zwischen Bonn und Washington diesmal nachhaltig gestört ist. State Department und andere US -Behörden müssen die Libyen-Affäre als ständiges Deja-vu erlebt haben. Die Imhausen-Rolle spielte im Fall Irak die Offenbacher Firma Karl Kolb GmbH und Co. KG mit ihrer inzwischen liquidierten Tochterfirma Pilot Plant und der Engineering & Equipment GmbH. Im Gegensatz zu Imhausen, das jede Libyen-Lieferung dementierte, hatte die Kolb GmbH nie bestritten, Geschäfte mit dem Irak zu betreiben. Allerdings sei die Firma immer nur zur Rettung der irakischen Dattelernten aktiv gewesen. Ihre Anlagen zur Pestizidherstellung, so Werner Schreiber, der damalige Geschäftsführer von Pilot Plant, seien zur Umrüstung in eine Giftgasproduktion denkbar ungeeignet. Nicht nur bei den betroffenen Firmen, auch in seinem eigenen Haus holte sich damals der angeblich in Washington so tief beeindruckte Bangemann einen Korb. Die Firma Kolb, so versicherten ihm seine Experten, habe kein einziges Stück geliefert, für das nach dem Außenwirtschaftsgesetz eine Exportgenehmigung notwendig gewesen wäre. Um sich von Washington nicht vorhalten lassen zu müssen, man hätte rein gar nichts getan, erließ Bangemann eine Rechtsverordnung, wonach bestimmte chemische Produkte, die als Vorstufen der Produktion chemischer Kampfstoffe dienen, nur noch mit Genehmigung exportiert werden durften. Und solche Genehmigungen, so meldete die Bundesregierung noch im Dezember letzten Jahres stolz, „wurden nicht erteilt“.

Mit diesem Kraftakt war für die Bundesregierung die Irak -Affäre scheinbar erledigt. Ein Versuch, weitere Lieferungen von Pilot Plant an den Irak zu unterbinden, scheiterte, weil ein Gericht in der erwähnten Rechtsverordnung Formfehler fand und der Klage von Kolb und Co. gegen das Wirtschaftsministerium stattgab. Unterdessen intensivierte der Irak gegen die iranische Armee den Giftgaskrieg. Als Bagdad dann auch vor Giftgasangriffen gegen die kurdische Zivilbevölkerung nicht mehr zurückschreckte, geriet die Kolb GmbH erneut in die Schlagzeilen - unter anderem aufgrund von Recherchen der „Gesellschaft für bedrohte Völker“. In zwei Prozessen, die Kolb im Frühjahr 1987 gegen die Rechercheure der Gesellschaft führte, errang die Menschenrechtsorganisation zumindest einen Teilerfolg: Seitdem darf jedermann über Kolb weit mehr behaupten, als Bonn offiziell zugegeben hatte: daß nämlich Kolb mindestens sieben „hochkompatible“ Anlagen an den Irak geliefert hat, die also für die Produktion entweder von Pestiziden oder von Giftgas genutzt werden können.

Und immer noch stellte Bonn sich taub. Von der ersten Meldung der 'New York Times‘ im März 1984 an dauerte es dreieinhalb Jahre - erst dann leitete die für Kolb zuständige Staatsanwaltschaft in Darmstadt ein förmliches Ermittlungsverfahren ein.

Mittlerweile stehen elf weitere Firmen auf der Liste der Staatsanwälte, darunter mindestens zwei, die auch im Libyen -Geschäft wieder mit von der Partie sein sollen. Dazu gehört die Preussag-AG Hannover, die wie jetzt nach Libyen damals den Irakern eine Wasseraufbereitungsanlage zur Verfügung stellte. Dieser Vorgang illustriert auch die Glaubwürdigkeit der Firmenerklärungen, wenn sie ihre Ahnungslosigkeit über den Verwendungszweck der Anlagen beteuern. Vielleicht konnte Preussag gegenüber dem Irak noch davon ausgehen, daß ihre Anlage der Trinkwassergewinnung diennen sollte. Nachdem aber zweifelsfrei feststand, daß Irak in großem Umfang Chemiewaffen produziert und einsetzt, dann Libyen dieselbe Anlage mit derselben Ausrede noch einmal zu liefern - das zeugt schon von einer erheblichen Unverfrorenheit.

Die kommt natürlich nicht von ungefähr: Trotz einer weiteren, von Bonn erlassenen Rechtsverordnung, die die Ausfuhr von Anlagen, die zur Herstellung, Erprobung oder Untersuchung chemischer Kampfstoffe geeignet sind, verbieten soll, fühlen sie sich völlig sicher. Schließlich muß die Staatsanwaltschaft ihnen auch noch nachweisen, daß sie vorsätzlich Equipment für die Herstellung von Giftgas über die Grenzen geschafft haben. Und das dürfte in beiden Fällen schwierig werden.

Um die Geschäftemacher dennoch vor den Kadi zu bekommen, bereitet die Gesellschaft für bedrohte Völker zur Zeit eine Klage vor, mit der sie - im Auftrag kurdischer Giftgasopfer aus dem Irak - Schadenersatz von der Kolb GmbH und anderen erzwingen will.

Jürgen Gottschlich