Film zur Epoche des Schnipsels

■ Michael Jackson „Moonwalker“ läuft seit einer Woche im UT: Mutter Teresa, Sean Lennon, Ghandi, Reagan und ein Karnickel im Pop-Inferno der Zeichen

Die erste New-Wave-Operette, der schönste Horror-Film für Kinder, die beste Verfilmung des Themas „Mutter Teresa trifft Raumschiff Enterprise“. Weitere Superlative sind in Vorbereitung, denn „Moonwalker“ läuft.

Und da geht alles mit allem. Collage, Mix, der Untergang der Welt in Drei-Sekunden-Sequenzen. Denn an jedem Bild, jedem Wort, jedem Ton kleben die Bedeutungsfetzen. Und wenn schon

kein großer Sinn, dann wenigstens ein Inferno der Zeichen. Michael Jacksons „Moonwalker“, der Film zur Epoche des Schnipsels.

In 260 Kopien rammt und taumelt das erste Leinwand-Epos des Pop-, Tanz-und Kinderstars durch die Köpfe deutscher Kinogänger. Die Bilder Jacksonscher Stadion-Konzerte und Massenszenen kommen noch ganz konventionell daher: die Gottheit auf der Bühne, Ohnmächte und Wunderkerzen davor. In Jacksons Konzert-Choreographien sind Fotos verschnitten: Martin Luther King, Reagan, Gandhi, Mutter Teresa, diverse Kennedys. Sie laden das Unverbindliche scheinbar mit Bedeutung.

Dann die Rückblende: Eine Biographie aus Jackson-Videos zu den Songs aus den Alben „Thriller“ und „Bad“, Szenen aus dem Ratten-Horrorfilm „Ben“, zu dem er 1972 sang, Jackson als Kinderstar mit den Jackson Five. Bilder einer ausge

fallenen Kindheit.

Aber dann nimmt eine irrlichternde Folge absurder Episoden ihren digitalen Lauf: Eine niedliche Gang von Grundschul -Kids parodiert Jacksons Video zum Song „Bad“ - Shirley Temple für die Neunziger. Jackson auf der Flucht vor hysterischen Fans und Papparazzi - da kommt guter, alter Freak-Humor auf, als sich die Freiheitsstatue in der Requisitenkammer zu Michael umdreht und zu dem Bürschchen sagt: „Michael im Land der Freiheit - Willkommen in der Heimat der Beknackten.“ Michael rast auf dem Motorrad davon

-in der Maske eines Karnickels.

Schließlich das endlose Finale: Jackson und drei Kids aus der Gang. Brandon Adams als achtjähriger Michael -Doppelgänger Zeke („alles, was Michael kann, hat er von mir gelernt“); Sean Lennon (Sohn von John Lennon) als Sean und Kelly Parker als Katie, eine Art Brooklyn-Version der Alpen -Heidi. Vereint im he

roischen Kampf gegen den diabolischen Drogen-König Mr. Big (Joe Pesci). Michael verwandelt sich, je nach Bedarf, in einen futuristischen Rennwagen, einen Stahl-Roboter, ein Raumschiff, eine Nebelwolke, einen „Smooth Criminal“ der 30er Jahre.

In guten Momenten erinnert „Moonwalker“ an den Beatles -Zeichentrick „Yellow Submarine“, der vor 20 Jahren Pop-Art, Surrealismus, Drogenphantasien, naives Märchen und Nonsens -Philosophien zum Rausch der späten 60er Jahre legierte. „Moonwalker“ aber ist ein Filmdokument der 80er. Der Rausch besteht heute aus Milliarden von Informationen und Desinformationen, die Auflösung der Welt kommt als Computer -Trick, als endloses Puzzle von Bildern in Video-Häppchen daher. Alice in Star Wars und Superman im Wunderland und James Bond tanzt mit Fred Astaire. So hohl und schön und bizarr wie ein endloser Werbe-Clip.

Freddie Röckenhaus