Sicht-Agitation der SEW

■ Interview mit dem Wahlkampfleiter der West-Berliner Kommunisten

taz: Auf einem Ihrer Wahlplakate ist zu lesen: „Wer uns wählt, wird von Moskau ferngesteuert.“ Deutet das auf einen Schwenk in der SEW-Politik hin und ist dieses Plakat eigentlich mit dem SEW-Programm vereinbar?

Heinz Grünberg: Zuerst möchte ich mal sagen, daß dieses Plakat von uns, wie andere Plakate auch, viel Aufmerksamkeit erregt hat. Wir haben mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, daß die taz uns Originalität bei den Wahlplakaten bescheinigt hat. Aber zu Ihrer Frage: Natürlich hat unsere Partei prinzipielle Aussagen und Zustimmung zur Politik der Perestroika und Glasnost in der Sowjetunion erklärt unmittelbar nach dem Parteitag in vielen Reden und Dokumenten. Wir sehen also keine Veranlassung zu einem Schwenk in der Parteipolitik oder im Parteiprogramm, weil die Plakataussage darauf hinweist, daß es Vorurteile gegen unsere Partei gibt. Man sagt, wir werden von Moskau bezahlt, und nun haben wir das in einer lustigen Form dargestellt. Das ist mit unserer Politik vereinbar, auch dann, wenn der eine oder andere auch in unseren Reihen diesen Inhalt der Karikatur noch nicht ganz versteht.

Nicht aus der DDR ferngesteuert

Wieso steht denn da „von Moskau ferngesteuert“ und nicht „von Ost-Berlin ferngesteuert“?

Weil das Vorurteil „von Moskau ferngesteuert“ uns jahrelang begleitet hat, und jetzt wird an der Politik der Sowjetunion sichtbar, wie dieses Argument abnimmt. Deshalb haben wir es aufgegriffen. Wir sind aber auch nicht aus der DDR ferngesteuert, denn wir haben auf einem anderen Plakat mit dem Trabi deutlich gemacht, wer uns wählt, wird dafür nicht von der Baumafia bezahlt, sondern kriegt einen Trabi. Also, es geht um Ironie und Selbstdarstellung.

Wieso ist die SEW auf einmal fähig zur Selbstironie? In der Vergangenheit war davon nicht sehr viel zu spüren.

(lacht) Wir sind lernfähig, und wir bleiben lernfähig bis ins hohe Alter. Wir haben ein Plakat gemacht, auf dem steht: „Wer uns wählt, der ist für den Doggie und nicht für das Diepgen-Team.“ Also natürlich hat die gegenwärtige Diskussion über neue Probleme uns auch in der Arbeiterbewegung veranlaßt, ein bißchen vorwärts zu schreiten in Richtung der eigenen Beurteilung. Das spielt doch eine Rolle in jeder Partei, und wir sind da nicht in alte Watte verpackt.

Ist denn diese Art des Wahlkampfes so ganz unumstritten in Ihrer Partei?

Ach, das würde ich nicht sagen. Die Partei ist ein sehr lebendiger Organismus. Da gibt es auch andere Auffassungen. Manche möchten auch tiefrote Plakate mit glühenden Augen zum Thema Kommunismus sehen. So etwas gibt es auch. Aber eine Partei, die sich zurechtfinden muß - und das müssen wir auch - in der neuen Form der Auseinandersetzung, muß neue Formen in der Sichtagitation und in der Plakatgestaltung finden.

Zielen Sie damit auf eine Wählergruppe, die dem alternativen Spektrum zuzurechnen ist?

Wir zielen natürlich auf Wählergruppen auch im alternativen Umweltbereich und wären froh, wenn wir damit ankommen würden (lacht). Wir sind nicht so bescheiden zu sagen, daß wir diese Wähler nicht brauchen. Die brauchen wir sehr.

Herr Schmitt (Vorsitzender der SEW, d.Red.) war ja vorgestern bei Herrn Honecker. Ist denn dieses Treffen nicht ein Zeichen dafür, daß die SEW ihre alte Linie weiter vertritt?

Zwischen alt und neu ist hier nicht zu unterscheiden. Es gibt dieses Treffen mit dem Generalsekretären des Zentralkomitees der SED nicht nur jetzt. Es gibt Treffen mit führenden Genossen in anderen Ländern eigentlich als dauerndes Ereignis bei uns. Horst Schmitt war auch dreimal mit Gorbatschow zusammen. Das kann man nicht gegeneinander aufwerten. Der Inhalt dieses Treffens ist es festzustellen, was kann von West-Berlin aus getan werden, damit die Beziehungen zur DDR besser werden. Denn daß sie nutzvoll sind, das bestreitet ja heute eigentlich niemand mehr.

Interview: Rita Hermanns