EWIGE TREUE

■ „Martin's Paranoia“ played by „ExdeLuxE“ in the Cafe Berlin Mitte

Da waren zwei Menschen, die liebten einander so sehr, und ihre Liebe war so stark, stärker als der Tod. Klar, Romeo und Julia, kennen wir. Doch wo Shakespeare aufhört, fangen „ExdeLuxE“ mit ihrer bezaubernden kleinen Geschichte an.

Ganz so wie bei Shakespeare ist es dann allerdings doch nicht. Als Lys (Martina Grusche) unfreiwillig aus dem Leben scheidet, folgt Martin („Russ“ Russel) ihr nicht, wohl aber folgt sie ihm - als Gespenst. Bis in alle Ewigkeit wird sie nur für ihn da sein (für andere ist sie nämlich unsichtbar), legt aber großen Wert darauf, daß er auch für sie da ist. Der Traum von der großen, einzigartigen, ewigen Treue der Liebenden, der in so vielen Menschengehirnen herumspukt hier scheint er wahrgeworden, wenn auch auf eine etwas ungewöhnliche Weise. Lys ist denn auch wirklich ein hinreißendes Gespenst, zwar etwas bleich und zerfasert, aber daran könnte man sich schon irgendwie gewöhnen, ja, man könnte sich eventuell sogar in sie verlieben, wenn sie nicht so eigenartige Vorstellungen von Amüsement und Unterhaltung und so ewig viel Zeit hätte, denn die Ewigkeit ist nicht nur lang, sondern auch ziemlich langweilig, besonders für so ein unternehmungslustiges Gespenst wie Lys. Deshalb setzt sie ihrem 'Marty-Mouse‘ erbarmungslos zu, denn sie erwartet als Gegenleistung für ihre ewige Treue, daß er für ihre Unterhaltung sorgt, und ist er nicht willig, erinnert sie ihn an den Grund, wie es überhaupt zu diesem Zustand gekommen ist - was das ist, verrat‘ ich natürlich nicht. Und so wird der Traum von der ewigen Treue für Martin zum lebenslänglichen Alptraum, zu „Martin's Paranoia“.

So, und nun vergessen Sie mal für einen Moment alles, was Sie eben gelesen haben, und stellen Sie sich vor, wie Alex (Peter Bot), ein intelligenter und korrekter junger Mann, Sonntag morgens um 5 Uhr von seiner Mitbewohnerin Terry (Tamara Hahn) gestört wird, der es erst nach einigem Hin und Her gelingt, einen abgerissenen Mann abzuschleppen, Martin mit Namen, der offensichtlich stark verwirrt ist, Selbstgespräche führt und aus unerfindlichen Gründen ruckartige Bewegungen vollzieht. Klarer Fall für Alex: Terrys Zufallsfund aus einem Hauseingang ist plemplem. Nicht daß er etwas gegen Verschrobenheit einzuwenden hätte, eher im Gegenteil - aber nicht um 5 Uhr morgens. Deshalb gibt es für ihn nur eine Konsequenz: hinaus mit ihm. Aber Terry hat eine Schwäche für schwache und hilfebedürftige Männer. Dann kommt auch noch Terrys Lieblingsfeindin Carol (Barbara Stiens) mit ihrem ständigen Begleiter Pierre (David Hauptmann) fünf Stunden zu früh zu ihrer Verabredung mit Alex, um ihm, der eigentlich nur schlafen will, einen Monolog darüber zu halten, daß sie Abhängigkeit und Unterordung niemals ertragen könnte, während Pierre ihr servil die Handtasche nachträgt, Zigaretten anzündet und ausmacht. Aus dem Hinauswurf wird nichts, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

In dieser bezaubernd boshaften kleinen Geschichte (von Tamara Hahn, die auch die Terry spielt) gehen einige dramaturgische Holprigkeiten im Verhältnis einiger Personen zueinander glatt unter, zumal die Rollen ansonsten präzise gespielt sind, was um so verwunderlicher ist, da niemand ausdrücklich die Regie übernommen hat, sondern jeweils whoever wasn't on stage. Und weil so klar und genau gespielt wurde, konnte man auch mit mittelmäßigen Englischkenntnissen der Handlung folgen, höchstens einige von Alex‘ spitzen Bemerkungen könnten einem verloren gehen.

An dieser Gespenstergeschichte konnte man ungetrübt seinen Spaß haben, denn das Gespenst Lys ließ einem anderen Gespenst keine Chance, welches wie ein schlechtes Lenorgewissen die meisten Bühnen heimsucht und verfolgt, auf denen Stücke gespielt werden, die eigentlich lustig gemeint sind: dem Tiefsinn. Das ExdeLuxE-Theatre hängte die Meßlatte von Anfang an lieber ein Stück zu tief mit der Warnung: „Dies ist eine Farce, vermuten Sie keinen tieferen Sinn unter der Oberfläche.“ Das Stück und das Spiel orientierten sich deutlich in Richtung Boulevard-Theater mit seinen starken Stilisierungen, ohne aber den Poltergeist Flachsinn auf die Bühne zu holen. Nein, keine Knallchargenparade mit den vorhersehbaren unvorhersehbaren Zwischenfällen, dafür sind die Eigenarten der Personen zu eigenartig und die Überraschungen dieses Stücks zu außergewöhnlich.

Das Bühnenbild besteht aus wenigen, aber passenden Stücken, die Kostümideen Martina Grusches unterstreichen die Charakterisierung der einzelnen Rollen unaufdringlich, und der Aufführungsort ist das Hinterzimmer einer Kneipe. Hier haben Leute aus circumstance and low budget und aus schauspielerischer Fähigkeit das Mögliche und zugleich Beste und Amüsanteste gemacht. Und weil die Bedienung der Kneipe die Kunst respektiert und die Musik während der Aufführung nicht zu hören ist, steht einem vergnüglichen Abend nichts mehr im Wege.

Und wer immer noch darauf besteht: Zum Schluß wird das Stück geradezu tödlich geistreich...

Michael Vahlsing

„Martin's Paranoia“ von ExdeLuxE bis zum 4.Februar, jeweils Freitag und Samstag um 20.30 Uhr im Cafe Berlin Mitte, Friesenstraße 23, 1-61, Eintritt 8/5 DM.