„Man sagt eben nicht: Der Kaiser ist nackt“

■ Zukunft der Opposition und des Politischen war Thema der ersten Veranstaltung der 'Gruppe Grüne Panther‘ in der AL / Im Auditorium waren Veteranen unter sich / Auf dem Podium Joscha Schmierer und Bernd Ulrich zur „Zukunft der Opposition und des Politischen“

Viele der an die hundert BesucherInnen hatte man seit Jahren nicht mehr bei der AL gesehen. Offenbar fühlten sich von der Einladung der 'Gruppe Grüne Panther‘, die sich als Oppositionsgruppe innerhalb der Alternativen Liste versteht, Leute angezogen, die sich in den letzten Jahren resigniert aus der AL zurückgezogen hatten. Die einmal wieder zusammengeholt zu haben, ist das Verdienst der Veranstaltung. Dann kommt lange nichts.

Über die Zukunft der Opposition und des Politischen sollten 'Kommune'-Redakteur Joscha Schmierer und der Politologe und gelegentliche Autor Bernd Ulrich nachdenken. Eine Selbstverständnisdiskussion also. Schmierer begann mit Hoffnungsvollem: Er fühle sich wohl, wenn er vom „Vertrauensverlust“ der Politik höre (Wahlumfragen). Daß das auch die AL trifft, sei zwar bedauerlich, zeige aber nur, daß sie auch als „normale“ Partei angesehen werde, also die Klärung grundsätzlicher Fragen nicht mehr in den Mittelpunkt ihrer Politik stelle. Daß so viele Leute die Parteien nicht mehr glaubwürdig fänden, zeige eine „relative Politisierung“, es passe nur nicht in die althergebrachte Vorstellung linker Politik. Derzeit finde eine starke „Vergesellschaftung“ von Politik statt. Viele Individuen bildeten sich eine Meinung, doch dies äußere sich eben nicht so „emphatisch“ und nicht in großen Bewegungen und Kämpfen, wie das die traditionelle Linke gerne hätte, deren Politikverständnis von „Revolutionsvorstellungen“ geprägt sei. Es sei deshalb an der Linken, neue Antworten zu finden auf diese „Spannung“. Formen müßten entwickelt werden, in denen sich oppositionelle Mehrheiten, wie sie beispielsweise zur Frage der Tiefflüge bestünden, äußern könnten. Der Kernpunkt von Schmierers Thesen: Die politischen Auseinandersetzungen laufen nicht mehr schroff entlang der Art, wie das Geld verdient wird, also an der Frage Lohnabhängiger oder Unternehmer. Eine „Homogenisierung“ der Gesellschaft habe stattgefunden. Das biete neue Möglichkeiten der Einflußnahme „unterhalb der Systemfrage“.

Dieser „Realostandpunkt“ gefiel Bernd Ulrich nicht. „Verdrängung“ beherrscht seiner Meinung nach die gesamte politische Öffentlichkeit. Weil nicht erkannt werden wolle, daß die Umwelt nicht mehr zu retten sei, werde in rechts -links Strukturen gestritten. Er holte alte Kommunikationstheorien als Erklärungshilfe. Ein „Pingpongspiel“ sei die Politik. Scheinbar spielten Gegner miteinander, dabei wisse jeder, daß seine Handlung ohne das Gegenüber keinen Sinn ergebe. Auf diese Weise spielten zum Beispiel Zimmermann und die Terroristen miteinander und auch Fundis und Realos. Auf ein „Ätsch“ folge mit Sicherheit ein „Bätsch“. Dann gebe es noch die „Lafontaine-Finten“, den Versuch, aus einem relativ banalen Sachverhalt durch eine bestimmte Formulierung Aufmerksamkeit zu erzielen. Was das ist, erläuterte er am Satz Jutta Ditfurths: „Dieser Staat braucht nichts sehnlicher als den Terrorismus.“ Tatsächlich meine sie natürlich, bestimmten Kreisen nütze der Terrorismus. Dieser Satz aber interessiere keinen, deshalb wähle sie den anderen. Und obwohl alle um dieses rhetorische Spiel wissen, interpretieren sie ihren Satz bewußt falsch. Der Grund, so Ulrichs Behauptung, sei eben Verdrängung. „Man sagt nicht, der Kaiser ist nackt“ - doch das wäre der einzige Ausweg aus der Misere. Er plädiert für eine neue „Experimentierphase“ des Politischen.

Eine kontroverse Diskussion kam nicht zustande. Peter Lohaus wollte sich von Schmierers Positivdefinition der Krise nicht „beruhigen“ lassen, konnte aber auch Bernd Ulrichs Vorschlag, aus der offiziellen Politik auszusteigen, nicht folgen. Damit, so füchtet er, gebe man auch die „Hebel zur Macht“ aus der Hand. Zweifellos sei es ein „Risiko“, sich an dem Machtspiel nicht mehr zu beteiligen, gab Ulrich zu. Doch - so beschwichtigte er die Versammelten - Risiko werde von der Bevölkerung honoriert. Joscha Schmierer gab Lohaus zu bedenken, daß es gar keine andere Möglichkeit gebe, als den Abgrud „vorwärtsgehend zu umgehen“. Die von ihm konstatierte Homogenität der Gesellschaft mache auf jeden Fall handlungsfähiger. Als Vergleich führte er die Zeit der Weimarer Republik an, die sei politisch „zerklüfteter“ gewesen.

Der Volksentscheid sei das einzige, was den Grünen bislang zu der Krise eingefallen ist. Harald Wolf, AL -Parteivorstand, war allerdings auch nicht überzeugt, daß dies eine adäquate Antwort sein kann. Für Johanna Maier, Gründungsmitglied der AL, stellt sich die Frage grundsätzlicher. Die Glaubwürdigkeit von Politik entscheide sich daran, ob die handelnden Individuen glaubhaft machen könnten, daß sie eine „andere“ Gesellschaft gestalten könnten, zu einem anderen Umgang miteinander in der Lage seien. Zur Zeit führe sich die AL auf wie alle anderen Parteien und verspiele dieses Vertrauen. „Die Grünen Panther auf dem Sprung“ stand auf der Einladung. Die „Veteranen“ im Auditorium (Volker Schröder) blieben im Anlauf stecken. Jahrelanges Schweigen kann augenscheinlich nicht an einem Abend gebrochen werden. Uwe Tietz, Ex-Abgeordneter und aus der Parteiarbeit ausgestiegen, weil ihm Spaß und Lust an der Politik abhanden gekommen sind, wurde am Dienstag abend erneut enttäuscht. Und noch eines sei angemerkt: Krisendiskussionen sind Männerdiskussionen. Zwei Frauen meldeten sich zu Wort.

bf