„Die ist ja immer noch am Leben“

Auszüge aus einem Gespräch mit dem „Herbstmilch„-Regisseur Joseph Vilsmaier und der Hauptdarstellerin Dana Vavrova  ■ I N T E R V I E W

Jan van Dieken: Ist das eine neue Art, Heimatfilme zu drehen?

Joseph Vilsmaier: Na, der Landschaft konnte ich nicht entkommen. Wir haben leider ständig gutes Wetter gehabt, da wird's dann schon lieblich mit den ganzen Hügelchen. Ich hätt's gerne mal verregnet gehabt, düsterer. Aber du kannst ja auch nicht drei, vier Wochen warten, bis es mal blitzt und donnert. Ich hab versucht, ohne Zoom und ohne Gegenschnitte zu arbeiten, damit's nicht gar so romantisch daherkommt. An Edgar Reitz' Heimat-Film hab ich mich nicht orientiert, nicht mal dran gedacht. Auch wenn unser Drehbuchschreiber Peter Steinbach der Autor von Heimat war.

Dana Vavrova, wie bist du in diesen niederbayrischen Herbst hineingeraten?

Dana Vavrova: Der Joseph hat mir das Buch von der Anna Wimschneider zum Lesen gegeben. Und das fand ich sehr spannend. Wir haben über die Zeit zwischen '33 und '45 sehr viel in der Schule gelernt, und ich wollte wissen, wie haben das die Leute auf dem Land in Niederbayern eigentlich erlebt. Wie haben sie reagiert? Ich lernte die Anna Wimschneider ein Jahr vor Drehbeginn kennen. Die kannste nicht ausfragen, die brauchst du nur beobachten. Und sie ist in ihrer Einfachheit eine sehr große Persönlichkeit.

Die Geschichte von „Herbstmilch“ könnte ja überall in Deutschland auf dem Land spielen...

Dana Vavrova: Klar, und es hat mich nicht gewundert, daß das Buch so ein großer Erfolg war. Der Anna ist das Verstehen der Nazizeit nicht schwer gefallen, sie wußte alles, auch ohne Schulbildung. Sie hat ganz wache Sinne gehabt damals, und sie muß nichts erklären. Und natürlich war sie gegen den Krieg, weil man ihr damit den geliebten Albert wegnahm.

Joseph Vilsmaier: Die Anna hat auch großes Glück gehabt, daß sich ein Verleger fand, der ihre Geschichte gedruckt hat. Für die Menschen in Niederbayern hat sich aber bis heute nicht so viel verändert, sie müssen noch genau so hart arbeiten wie früher. Die Anna Wimschneider weiß bis heute nicht so richtig, was den Erfolg ihres Buches ausmacht. Ihr ist das auch egal, die denkt nicht so.

Was hat denn die Familie dazu gesagt? Gab's keinen Ärger?

Joseph Vilsmaier: Na ja, die Schwester von Albert ist schon stocksauer, daß die Anna die Familiengeschichte so öffentlich gemacht hat. Vor allem ist sie böse über die Charakterisierung der Mutter, und sie hat an die beiden alten Leute einen bitterbösen Brief geschrieben, was ihr denn einfiele und so weiter. Und der Albert meinte nur, die kann einfach die Wahrheit nicht ertragen.

Dana Vavrova: Na, die Anna hat etwas ganz Kluges gesagt. „Die Leute, die in dem Buch beschrieben sind, sind sauer, weil sie drin stehen, und diejenigen, die nicht drinne stehen, sind beleidigt, weil sie nicht erwähnt werden.“ Und mit den Nachbarn ist das auch so eine Sache. Denen gefällt der Rummel nicht. Die Anna war ziemlich krank letztes Jahr, dreimal im Krankenhaus. Aber jedesmal tauchte sie wieder vergnügt auf, und die Leute dachten „Kruzifix, jetzt ist die ja immer noch am Leben“. Das Gespräch führte

Jan van Dieke