piwik no script img

„Wir möchten gerne legal arbeiten“

Der Herausgeber der Samisdatzeitschrift 'Lidove Noviny‘, Jiri Ruml, muß ständig mit Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen rechnen / Für offizielle Zeitungen stellt die Regierung eine Liste der Tabu-Themen zusammen / Bei Verstößen gibt es Geldstrafen und Entlassungen  ■ I N T E R V I E W

Jiri Ruml war von 1963-67 Präsidiumsmitglied des tschechoslowakischen Journalistenverbandes. 1967 trat er aus Protest gegen die staatlichen Repressionen gegen die 'Literarni Noviny‘ aus dem Präsidium aus. Nach den Säuberungen nach der sowjetischen Intervention in der CSSR 1968 arbeitete er als Kranführer, bis er aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand ging. Ruml ist Unterzeichner der Charta 77.

taz: Herr Ruml, Sie bemühen sich seit einiger Zeit, ihre Zeitschrift offiziell erscheinen zu lassen. Warum?

Jiri Ruml: Wir müßten uns dann einfach nicht dauernd fürchten, daß die Polizei Haussuchungen veranstaltet und unsere Schreib- und Druckmaschinen beschlagnahmt, und unsere Mitarbeiter verfolgt. Deshalb möchten wir gerne legal arbeiten, auch wenn wir wissen, daß die Zeit noch nicht reif ist, daß das möglich wird.

Legal erscheinen heißt aber auch, der Zensur unterliegen.

Mit der Zensur ist das hier ein bißchen anders als Sie sich das vorstellen. Bei uns wurde die Zensur 1968 abgeschafft. In der alten Form wurde die Zensur nicht wiedereingeführt. Früher war es so, daß jeder Text oder jede Sendung vor der Veröffentlichung von einem Zensor freigegeben werden mußte. Heute gibt es zwar auch ein Presseamt, aber dieses gibt Anweisungen heraus. Zum Beispiel darüber, was man veröffentlichen soll und was nicht. Das sind schrecklich lange Ausführungen, die die Chefredakteure erhalten. So ersetzt quasi der Chefredakteur die Vorzensur. Und bei Verstößen gibts dann hohe Geldstrafen. Und dazu kommt, daß der Chefredakteur seinen Posten riskiert und zwar nicht nur in der Zeitung, in der er gerade ist, sondern auch woanders, denn es gibt ja nur einen Arbeitgeber für ihn: den Staat.

Worüber darf man denn zum Beispiel nicht schreiben?

Jedes Ministerium, jedes Amt stellt seine Liste zusammen mit den Dingen, über die es nicht will, daß geschrieben wird. Zum Beispiel darüber, wieviel Uran in der CSSR gefördert wird und an wen es verkauft wird. Oder wieviel Vietnamesen es in der CSSR gibt. Überhaupt über das Gastarbeiterproblem hier. Oder über die neuen Zollvorschriften gab's jetzt Vorschriften, wie man darüber zu schreiben hat und wie nicht. Aber wir glauben, daß Glasnost wie in Polen, der UdSSR oder Ungarn auch mal hierher kommt.

Sie haben ja auch in einer der letzten Nummern Auszüge aus sowjetischen Zeitungen übersetzt und nachgedruckt, die in der offiziellen tschechoslowakischen Presse bisher nicht erschienen sind.

Viele Artikel, die vor allem in den 'Moskowskie Novosti‘ oder in 'Ogoniok‘ erscheinen, werden hier nicht gedruckt, weil es entsprechende Anweisungen der Pressebehörde gibt. Aber da wir nicht legal sind, kriegen wir auch deren Anweisungen nicht. Also drucken wir sie. Und sie können uns dafür nicht bestrafen, denn schließlich haben wir ja nur die sowjetische Presse übersetzt.

Perestrojka auf tschechisch beschränkt sich also auf die Wirtschaft, „Prestavba“ ist demnach Perestrojka ohne Glasnost?

Das Problem liegt darin, daß die, die heute an der Macht sind, sich nicht einfach von dem lossagen können, was sie 20 Jahre lang gemacht haben. Wenn die heute wirklich hier anfangen wollten, Perestrojka zu betreiben, müßten sie zugeben, daß der Prager Frühling so etwas war wie das, was heute in der UdSSR geschieht.

Wie beurteilen Sie denn die derzeitige Führung? Der Abgang Strougals wurde ja von vielen als Sieg der Konservativen angesehen. Aber dann müßte Bilak auch gehen.

Mir scheint der Unterschied zwischen Bilak und Strougal ist nicht so groß, wie viele denken. Fortschritte sind von beiden nicht zu erwarten.

Ohne Strougal mit Dubcek vergleichen zu wollen: Wer hätte denn von Dubcek erwartet, daß er das tut, was er dann getan hat?

Auch Dubcek war nicht der Retter der Tschechoslowakei. Was ich an ihm schätze, ist nicht, daß er irgendwelche großartigen Einfälle hatte - die hatte er nicht. Sondern, daß er Leute ranließ, die diese Einfälle hatten. Daß er ihnen die Tür öffnete. Bei uns wird jetzt nach 20 Jahren wieder darüber diskutiert, was dieser Dubcek doch für ein großartiger Kerl ist. Aber im Grunde hat er doch in diesen 20 Jahren nichts getan. Ich weiß, daß er's schwer hatte, wir alle hatten es schwer, wurden verfolgt. Aber wir haben hier den Samisdat, die alternative Kultur aufgebaut, die Charta, die Friedensbewegung. Daran hat er sich nicht beteiligt. Er hat sich rausgehalten. Er hat erklärt, 1968 war keine Konterrevolution. Gut. Aber nicht mehr.

Nun ja. Aber Dubcek ist ja noch Kommunist und die Opposition ist das überwiegend nicht.

Den einzelnen Oppositionsgruppen ist das egal. Wichtig ist nicht, ob einer Katholik oder Kommunist ist, sondern, ob er sich engagiert. Die Kommunisten, die heute in der Opposition sind, haben durch den Druck der Behörden, durch die ganze Entwicklung etwas gelernt, was sie vorher nicht hatten: Toleranz. Und diese Schule der Toleranz fehlt Dubcek. Und daher fällt es ihm schwer, sich mit den Leuten zu verständigen, die diese 20 Jahre Entwicklung durchgemacht haben. Die anderen Kommunisten sind in die Gesellschaft hineingewachsen, er war isoliert.

Wie stark ist der reformkommunistische Einfluß auf die Opposition?

Nicht sehr groß.

Gibt's eine kommunistische Untergrundzeitschrift?

Ich habe gehört, es soll eine gegründet worden sein mit dem Titel 'Dialog‘. Aber das wird keine orthodoxe Zeitung sein, sondern eine offene, auch für andere Ansichten.

Interview: Klaus Bachmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen