Mit Boykott gegen Libyen?

Zur Beteiligung deutscher Firmen im Libyen-Geschäft  ■ K O M M E N T A R

Nach allem, was bislang in der Affäre um die Beteiligung bundesdeutscher Firmen am Aufbau einer Chemiewaffenfabrik im libyschen Rabta bekannt geworden ist, muß man davon ausgehen, daß Washingtons CIA dieses mal richtig informiert war: Gaddafi hat zumindest versucht, eine Anlage zur Giftgasproduktion installieren zu lassen, und bundesdeutsche Firmen haben daran verdient. Zwar ist noch offen, ob sie dies in jedem Fall wissentlich in Kauf genommen haben und ob die Lieferungen nach bundesdeutschem Recht überhaupt illegal waren - das Ergebnis ist so oder so eine Katastrophe.

Generell ergeben sich daraus zwei Fragen: Welche Konsequenzen wird das Geschäft auf die bundesdeutsche und letztlich EG-weite Exportpolitik haben, und zweitens, welchen Einfluß wird die Chemiewaffen-Proliferation auf die Verhandlungen um eine weltweite Ächtung von Produktion, Lagerung und Einsatz von Giftgas zeitigen? In beiden Fragen liegen die Bundesregierung und mit einigen Abstufungen die gesamte EG mit den USA im Clinch. Die amerikanische Exportpolitik ist grundsätzlich anders strukturiert. Exporte egal welcher Produkte und in welches Zielland sind prinzipiell genehmigungspflichtig. Da diese Genehmigungen nach Grundsätzen politischer Opportunität erteilt oder versagt werden, sieht sich die US-Industrie gegenüber Westeuropa strukturell im Nachteil.

Die Position Washingtons gegenüber der Bundesregierung ist deshalb denkbar einfach: Übernehmt unser Exportmodell, und solche Pannen wie jetzt mit Libyen können nicht mehr passieren. Dahinter steht die US-Tradition, nach der Handelspolitik immer auch als direktes Mittel zur Durchsetzung amerikanischer Außenpolitik begriffen wird und die Belieferung einzelner Länder abgestuft nach politischem Wohlverhalten organisiert ist.

Daß die USA der Bundesrepublik und der EG dieses System gerne aufoktroyieren möchten, ist sowohl aus politischen als auch ökonomischen Gründen leicht verständlich - genau deshalb ist es auch richtig, wenn die Bundesregierung sich dagegen wehrt. Problematisch wird diese Haltung immer, wenn es um Waffen, gleich welcher Art, geht. Angefangen von der Knarre von Heckler und Koch bis hin zu nuklearen oder chemischen Komponenten, die zur Herstellung von Waffen dienen: eine freizügige Handelspolitik ist mit einer wirksamen Kontrolle von Waffenhandel jeder Art kaum in Einklang zu bringen.

Grundsätzlich gibt es in diesem Konflikt nur eine Lösung: da die Exporte nicht kontrolliert werden können, muß die Produktion verboten werden. Deshalb bleibt die Position Genschers - trotz der skandalösen Rolle, die die Bundesregierung derzeit spielt - richtig: eine Ächtung der Chemiewaffen kann nur durch Kontrollen im Produktionsbereich, also in der gesamten chemischen Industrie, durchgesetzt werden. Dasselbe gilt, auch wenn Genscher dies nicht wahrhaben will, für die vermeintlich zivile Atomernergie. Und letztlich wird auch der illegale Export von Panzern erst dann gestoppt, wenn keine Panzer mehr gebaut werden.

Als Konsequenz aus der Libyen-Affäre kann es also nicht darum gehen, nun den Handel mit Libyen zu verdammen kontrolliert werden müssen die Produktion der chemischen Industrie vor Ort.

Jürgen Gottschlich