Aids-Richter nicht befangen

Nach Freispruch steht HIV-Infizierter erneut vor Gericht, weil er mit seiner Freundin ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte / Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen Richter als unbegründet abgelehnt  ■  Aus Kempten Luitgard Koch

Seit gestern steht der 30jährige HIV-Infizierte Franco Pietro G. erneut vor Gericht. Der Mailänder muß sich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verantworten, weil er mit Einverständnis seiner damals 16jährigen Freundin ohne Kondome mit ihr verkehrt hat. In der gestrigen Verhandlung des Revisionsverfahrens vor dem Amtsgericht Kempten wurde ein Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen die drei Richter der Zweiten Strafkammer als „unbegründet“ abgelehnt. Die Richter hatten im April 88 einen Beschluß erlassen, den vom Amtsgericht Kempten damals aufgehobenen Haftbefehl gegen Franco G. wiedereinzusetzen. Grund für den Befangenheitsantrag des Verteidigers Sebastian Cobler war „die Art und Weise, wie die abgelehnten Richter den Beschluß begründet haben“. In ihrer Begründung hätten die Richter bereits ein vorgefaßtes Urteil über Franco G. getroffen. „Die Richter haben damals ihr Urteil bereits gefällt. Der Angeklagte kann nicht davon ausgehen, daß sie in der Verhandlung noch über ihren deutlich gewordenen Schatten springen könnten“, so Cobler. Der Beschluß sei so formuliert, als ob Franco G. der „angeklagten Straftat bereits überführt und schuldig sei“. So war die Tatsache, daß Franco G. wegen seiner Infizierung zunächst nicht mit seiner Freundin schlafen wollte, für die Richter bereits der Beweis für „sein Wissen um die lebensbedrohende Gefahr und ihre Inkaufnahme“. Desweiteren unterstellten sie dem 3ojährigen, daß ihm das Schicksal seiner Freundin gleichgültig gewesen sei und er in „Desperadomanier“ mit ihr umgegangen sei.

Der jungen Frau dagegen attestierten sie, ohne jemals mitihr gesprochen zu haben, Unreife und Unwissen über Aids. Bei der Polizei hatte die Gymnasiastin jedoch ausgesagt, daß sie sich beim ersten Geschlechtsverkehr mit ihm über das Risiko einer Infizierung im klaren war. Diesen eigenwilligen Umgang der Richter mit den polizeilichen Aussagen rügte Rechtsanwalt Cobler. In ihrer Ablehnung des Befangenheitsantrags argumentierten gestern die Richter, daß hier „kein manipulativer Umgang mit Polizeiprotokollen“ vorliege, die Argumentation decke sich mit den Aussagen der Gymnasiastin vor der Polizei.

Der italienische Mechaniker war im Juli vergangenen Jahres in einem aufsehenerregenden Prozeß freigesprochen worden, da ein Vorsatz, das Leben seiner Freundin zu gefährden, nicht nachgewiesen werden konnte. Eine gefährliche Körperverletzung liege rein juristisch nämlich nur dann vor, wenn sie vorsätzlich begangen wurde. Die Staatsanwaltschaft ging nach diesem Urteil sofort in Revision.