Neun Jahre wegen „Dornier“

„Angeklagte haben RAF-Mitgliedschaft nicht bestritten“ / Stammheimer Schrift-Indizien-Prozeß  ■  Aus Stammheim Dietrich Willier

Ein weiteres Urteil der Stammheim-Justiz: Die Richter in der Gerichtsfestung haben gestern den 27jährigen Erik Prauss und die 29jährige Andrea Sievering zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Der 5. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts sprach sein Urteil wegen Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag auf die Daimler-Tochter Dornier in Immenstaad am Bodensee, wegen Diebstahl, Urkundenfälschung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. In einer Vorbemerkung zur Urteilsbegründung widersprach der Vorsitzende Richter Herbert Schmid dem Vorwurf, der Senat hätte „nur zum Schein“ verhandelt.

Am 25. Juli 1986, morgens gegen fünf Uhr, war auf dem Werksgelände von Dornier eine 25 Kilogramm schwere Autobombe explodiert. Sachschaden: 1,3 Millionen Mark. Wer den Sprengsatz in den PKW eingebaut hat und wann, habe das Gericht nicht klären können. Alles, so der Vorsitzende, „deute aber auf eine Täterschaft der Gruppe Kiefernstraße hin“. (In der Kiefernstraße in Düsseldorf stehen besetzte Häuser.) Eine Tötung von Menschen aber, so der Vorsitzende Richter, sei nicht beabsichtigt gewesen. Auch ein handschriftliches Warnschreiben, das am Werkzaun gefunden worden war, ordnete der Senat nicht den Angeklagten zu.

Als Indizien für eine Mittäterschaft der Angeklagten betrachtete das Gericht handschriftliche Notizen, die zehn Tage vor dem Anschlag bei dem im vergangenen Jahr in derselben Sache verurteilten Christian Kluth gefunden wurden. Nach Aussage einer Schriftsachverständigen des Bundeskriminalamts sollen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Erik Prauss zuzuordnen sein. Die Notizen, so das Gericht, seien inhaltlich weitgehend identisch mit den später gefundenen Bekennerschreiben, Prauss sei also dessen Urheber. Die Mitangeklagte Andrea Sievering soll die Bekennerbriefe handschriftlich adressiert haben.

Wegen der widersprüchlichen Bewertung der Indizien zwischen der Schriftsachverständigen des BKA und dem später hinzugezogenen privaten Hamburger Sachverständigen Hans Ockelmann hatte die Verteidigung im Verlauf des über viermonatigen Prozesses mehrfach einen Obergutachter gefordert. Die Anträge waren vom Gericht allesamt abgelehnt worden.

Die Kritik an dem Gutachter Hans Ockelmann wies das Gericht gestern als „Rufmordkampagne“ zurück. Allein die Beteiligung an Vorbereitungshandlungen, so das Gericht gestern, beweise, daß die Angeklagten einer „kämpfenden Einheit“ angehört hätten. Diese hätten sich, wenn auch unbewaffnet, mit der RAF zu Anschlägen verbunden. Fortsetzung auf Seite 2

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Die Mittäter Prauss und Sievering müßten sich das Gesamtgeschehen Dornier zurechnen lassen. Entscheidend, so Richter Herbert Schmid, sei dabei nicht, daß die Angeklagten tatsächlich nur 14 Tage Mitglieder einer terroristischen Vereinigung gewesen seien. Sie hätten vielmehr eine längere Mitgliedschaft beabsichtigt. Prauss und Sievering, so der Vorsitzende, seien auch weiterhin entschlossen, als „Wohlstandsrevolutionäre mit revolutionärem Idealismus“, gegen das „imperialistische System“ zu kämpfen.

Als verschlüsselte Selbstbezichtigung und Bekenntnis zur Illegalität wertete das Gericht eine Prozesserklärung von Andrea Sievering am 10. Januar dieses Jahres, als „Militante in der Front gegen Vernichtungsprojekte gekämpft zu haben“. Jedenfalls, so Richter Herbert Schmid, habe sie damit eine mitgliedschaftliche Beteiligung nicht bestritten. Auch Eva Sybille Haule habe als Zeugin und Mitglied der

RAF ausgesagt, daß der Dornier-Anschlag von „illegalen Militanten“ ausgeführt worden sei. Die Aussage der Zeugin, weder Erik Prauss und Andrea Sievering, noch Christian Kluth seien an dem Anschlag beteiligt gewesen, ändere daran nichts. Als Leben in der Illegalität wertete das Gericht einen Aufenthalt der Angeklagten in einem Ferienhaus in der Eifel vor dem Anschlag , und, unter falschem Namen in einem Duisburger Jugendgästehaus, danach.

Die Anwälte der Angeklagten, Gerd Klusmeyer und Martin Viergutz, haben bereits gestern Revision gegen das Urteil angekündigt. Dabei sollen als wichtigste Indizien vor allem die widersprüchlichen Gutachten zur Sprache kommen.