Attila im Klanggewitterwunderland

■ Ungarns Vorzeige-Avantegarde-Band, die „Rasenden Leichenbeschauer“, tobte nach alter Schamanentradition, aber bloß eine knappe magische Stunde über „Römer„s Bühne

Zunächst konnte sich Irritation einstellen. Da waren doch auf dem Ankündigungsplakat der Rasenden Leichenbeschauer aus Ungarn die beiden „S“ im Bandnamen in Runenform geschrieben. Es war die schlichte Vertrotteltheit der Tour -Gesellschaft, wie der Bremer Veranstalter betonte, und die Band aus Budapest distanzierte sich vehement.

So stand einem mitreißenden Konzert nach Schamanenart eigentlich nichts mehr im Wege. Der Römer war anständig gefüllt, und die Bereitschaft des Publikums offensichtlich. Als wüstes Sextett präsentierte sich die Combo auf der kleinen Bühne. Ein psychedelischer Rhythmusteppich von Baß, Drums, Kesselpauken und sphärischen Gitarren bildete die Basis, auf der Sänger Attila Grandpierre und Bassist Lajos Soos mit animalischem Brüllen und langgezogenem Getöne sich in ekstatische Dimensionen bewegten.

„Set the controls for the heart

of the sun“ hätte es in bester Pink Floyd-Manier heißen können, doch damit wollte Attila im nachhinein gar nichts zu tun haben. Mit den Kölner Altfreaks der legendären Can mochte er sich schon eher identifizieren. Mystisch sei ihre Musik viel weniger als vielmehr magisch, erklärte der promovierte Wissenschaftler der Astronomie, und sein Vortrag bestätigte dies eindrucksvoll.

Besessenenheit war den Leichenbeguckern von der Donau nun wirklich nicht abzusprechen, ihr Intro wollte überhaupt nicht enden. So reduzierte sich das Klanggewitter unvermittelt auf einen sonoren Beat der Baßtrommeln, und alle anderen fiepten auf Holzflöten wild durcheinander.

Mit dem immer intensiver werdenden Rhythmus wurden auch die Holzbläser aufgeregter und lauter, bis das gewollte Tonchaos in perkussive Klangbänder überging. Immer vorwärts, nur nicht zögern, weiter, weiter. Schreie aus den Urbereichen menschlicher Artikulation bahnten sich ihren Weg durch die Vielzahl der akustischen Impressionen, hervorgebracht von durchgeschwitzten Männern mit hochroten Köpfen.

Er würde von seinen Mitspielern mitgerissen, wie von einer Welle getragen, erläuterte ein überraschend aufgeräumter Attila nach dem Konzert. Doch Schwachpunkte konnte der Mittwoch Abend im Römer nicht verbergen. Die viel größere Schlachhofbühne wäre ohne Frage angemessener gewesen, sie hätte den schnellen Leichenbeschauern mehr Möglichkeiten der Entfaltung geboten. Und mit weniger als einer Stunde Spielzeit fühlte sich so manche BesucherIn schon zu kurz gekommen. Die Rasenden Leichenbeschauer hätten dann auch gern länger gemacht, doch die Auflagen des Veranstaltungsortes werden immer unerbittlicher.

Auf die Frage eines Studenten, ob sie nicht einen musikalischen Solidarbeitrag zum Unistreik leisten wollten, zeigten sie sich nicht abgeneigt. Schade nur, daß Berlin der nächste Tournee-Ort war. Aber immerhin, Schamanen und Streik, das haben bis dato wohl die WenigstInnen zusammenbringen mögen.

Jürgen Francke