VERSTIMMUNGEN

■ „The Relative Violine in der Akademie der Künste

Wir führen hier ein kleines Experiment durch: Wie lange können Menschen, ohne einen sichtbaren Schaden davonzutragen, Geigenmusik ertragen? Nicht mehr lange, jedenfalls in dieser Dosierung. Was auf dem Festival der Geigenfamilie fulminant fehlt, sind zartbesaitete Aufputschmittel in Form von Folk, und zwar irischem Folk. Wie zum Beispiel von den Waterboys, deren Fisherman's Blues wenigstens in den Pausen vom Band gespielt werden könnte, wenn man sie schon nicht einladen will oder kann. So hört man zu Hause Platten, in denen die Geige zwar vorkommt, aber nicht immer egoistisch die erste spielen will.

Wie bei den Mekons, melancholische Trink- und Liebeslieder, die in den trüben und fröhlichen Stunden des Lebens wesentlich mehr helfen als ein todernst vorgetragenes Violinentrösten. Der Verwandtschaftsbegriff müßte nur ein wenig erweitert werden, dann könnte auch eine korrekte E -Gitarre nicht fehl am Platze sein.

Zur Musik des „Soldier String Quartet“ aus den USA hätte hervorragend die verzerrte Gitarre von Caspar Brötzmann gepaßt. Oder wenigstens Elliott Sharp persönlich, der hier nicht selbst den Hammer überm Baß schwingt, sondern nur spirituell in Form zweier Kompositionen anwesend ist. Das Quartett von David Soldier mit zwei Geigern, einer Geigerin und einer Cellistin arbeitet nach der Devise: So, jetzt müssen wir erstmal unsere Instrumente neu verstimmen, dann geht's gleich weiter. Dissonantes Saitenkreischen springt uns ins Gesicht, wie eine Katze, die tatsächlich gelernt hat, Geige zu spielen, jetzt aber aus Rache gegen alle klischeebeladenen ZuhörerInnen ihnen genau das gibt, was sie immer von ihr hören wollten - Katzenmusik. Das ist zunächst recht amüsant, auf die Dauer anstrengend. Optisch originell wirkt das Ensemble, als hinter ihnen der Film Sometimes Crosswise von Günter Christmann, acht Minuten für vier Streicher, über die Leinwand läuft. Eisenbahnoberleitungen mit vielfältigen Verknüpfungen, Hochhausfassaden, Schnittmuster, Überlandkabel, alle Drähte dieser Welt werden zu Saiten, die nur noch bespielt werden müssen. Der Wind in einem alten Telegraphenmast auf dem Lande bringt die Drähte zum Schwingen. Wer je versucht hat, im Sturm unter einer Hochspannungsleitung zu schlafen, weiß, welche bedrohliche Klangdimension solche öffentlichen Konzerte ohne sichtbare Musiker annehmen können.

Einen weiteren Versuch zur Verbindung von Livemusik und Bild unternimmt Malcolm Goldstein. In kaum merklicher Bewegung vor sich überlagernden Dias von Steinlinien erzeugt er einen breiten Klangraum aus langgezogenen, ruhigen Tönen. Hier entsteht zum ersten Mal bei diesem Festival eine dichte Verbindung zwischen Bild und Klang.

Zur Entspannung gibt's in der Pause slowenische und rumänische Volksmusik im Foyer. Paare und Kinder tanzen zur Melodie der Fiedel, Geigenmusik kann auch ganz einfach Tanzmusik sein, auch in der nüchternen Fassade der Akademie.

Nüchternheit kann man dem Bassisten der Lautarie aus Südrumänien sicherlich nicht vorwerfen, eher schon das Gegenteil. Mit heftigen Gesten weist er Nicolae Bosoi auf seine Einsätze hin, ruft ihm ständig etwas zu, aber der Violinvirtuose ist nicht aus der Ruhe zu bringen. Es ist sein erster Auftritt im Ausland, unbeholfen steht er im schicken, viel zu großen Zweireiher auf der Bühne und geigt ein fingerartistisches Solo nach dem anderen. Diese Musik läßt erahnen, wieviel auch musikalisch durch die Vertreibung der Zigeuner und ihre Verfolgung, besonders im Nazideutschland, bis heute verlorengegangen ist. Nicht nur musikalisch.

Andreas Becker.