Alles Lüge - und eine Rüge fürs Parlament

■ Erregte Debatten um den Zwischenbericht des Untersuchungsausschusses zum Verfassungsschutz / Parlamentspräsident rügt den ganzen Laden

Es fing alles ganz ruhig an bei der gestrigen Sondersitzung des Abgeordnetenhauses, bevor es dann doch noch hoch her ging. Der Zwischenbericht des Untersuchungsausschusses zum Verfassungsschutz (VfS) stand auf der Tagesordnung. Der Vorsitzende des Ausschusses, Klaus Finkelnburg (CDU), trug noch einmal vor, was inzwischen jede(r) Zeitungsleser(in) weiß: daß der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, Telschow, beim SPD-Abgeordneten Pätzold war und wie er davon seinem V -Mann berichtete. Abgeordnete und Presse ließen das alles gelangweilt über sich ergehen.

Doch dann kam Klaus-Rüdiger Landowsky (CDU) ans Rednerpult und mit ihm Stimmung auf. Landowsky hatte nämlich einen Komplott ausgemacht. In einem „abgekarteten Spiel zwischen Telschow, Pätzold und der taz-Redakteurin“ sei eine Kampagne angezettelt worden, die auf die Wahlen abzielte. Der echauffierte CDU-Mann brauchte allerdings lange, bis er den Satz zu Ende brachte. Seine Verschwörungstheorie löste in den Oppositionsreihen Heiterkeit und Zurufe aus, die Koalition stimmte ein. Parlamentspräsident Peter Rebsch reagierte verwirrt.

Mit den „Beschallungsanlagen“ scheine heute irgend etwas nicht in Ordnung zu sein, er verstehe nämlich nichts, merkte er an und trug damit zur Steigerung der allgemeinen Heiterkeit bei, die sich inzwischen bis in die Zuschauerreihen ausgebreitet hatte. Doch auch die eigenen Parteifreunde unterbrachen den Diepgen-Freund Landowsky ununterbrochen durch Gegröle und Beifall, wenn ihr Generalsekretär wieder einmal besonders polemisch wurde, zum Beispiel Pätzold als den „Kojak aus dem Wedding“ titulierte.

Als der Fraktionsvorsitzende der SPD, Walter Momper, nach vorne ging, erweckten die meist unverständlichen, skandierten Rufe aus den CDU-Reihen endgültig den Eindruck, man befinde sich auf dem Fußballfeld. „Bruno, Bruno“, war da nur auszumachen, in Anspielung an eine früheres Landowsky -Wort. Er hatte den SPD-Vorsitzenden einmal als jemanden bezeichnet, der sich wie der „dumme Bruno“ von seiner Fraktion an einem Nasenring herumführen ließe.

Momper wirkte gelassen und souverän. Ruhig wies er Landowsky zurecht. Er konzentrierte sich darauf, die politisch Verantwortlichen, namentlich Innensenator Wilhelm A. Kewenig (CDU) und dessen Staatssekretär Wolfgang Müllenbrock zu kritisieren. Es sei beschämend, daß die beiden einen Verwaltungsvorgang - wie die Anweisung, das Verfassungsschutzamt solle die Verbindungen mit Telschow abbrechen - nicht kontrolliert hätten.

Unwahrscheinlich sei dies allerdings, wenn man bedenke, daß „Herr Müllenbrock sich ja ansonsten sogar von dem Profil der Funkwagenreifen persönlich überzeugt.“ Der Beifall von SPD und AL traf diesmal auf ein völliges Schweigen von rechts. Die CDU scheint ihren Innensenator längst abgeschrieben zu haben. Niemand hielt es für nötig, durch einen Zwischenruf dem angeschlagenen Senator zur Seite zu stehen. Selbst Landowsky brüllte erst dann wieder dazwischen, als Momper auch den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) der Untätigkeit bezichtigte.

Als der AL-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland an der Reihe war, machten die CDU-Plätze einen überwiegend verwaisten Eindruck. Daß Telschow nicht vom Amt zu Pätzold geschickt worden sei, stimme ja, sagte Wieland. Das sei „aber auch das einzig Richtige“, was die CDU gesagt habe. Der Vorgang erinnere ihn an das englische Sprichwort vom „Genießen der Früchte des verbotenen Baumes“. „Sehr gut“, hörte man aus der SPD-Ecke. Die OppositionspolitikerInnen wurden im Laufe der Sitzung immer aufgeräumter und verbuchten die Ergebnisse des Ausschusses ganz offensichtlich als Pluspunkte für sich.

Freude kam auf bei Formulierungen von Wolfgang Wieland wie „Lügen haben kurze Beine, kürzer sind Landowsky seine“. Spätestens bei der Forderung, VfS-Chef Wagner in den Ruhestand zu setzen, hatte sich eine klatschende SPD-AL -Koalition gebildet.

Der FDP-Abgeordnete Hermann Oxfort verstieg sich dann noch einmal zu persönlichen Angriffen und löste damit noch zwei „persönliche Erklärungen“ von Pätzold und Finkelnburg aus. Das sei doch alles eine „Familienkomödie der SPD“ und eine „späte Rache des Abgeordneten Pätzold an der eigenen Partei“. Pätzold fühlte sich angegriffen und monierte, daß eine Richtigstellung von ihm nicht in den Bericht aufgenommen worden sei. Davon fühlte sich wiederum Klaus Finkelnburg düpiert, der erklärte, die Behauptung sei unwahr.

Zum Schluß der turbulenten Sitzung sprach der stellvertretende Parlamentspräsident Alexander Longolius (SPD) dem Parlament eine kollektive Rüge aus für eine Vokabel, die er aus dem Tohuwabohu der Zwischenrufe herausgehört hatte: Es sei gerügt, so Longolius, wegen der „häufigen Benutzung des Wortes Lüge“.

RiHe