Lauter Lieben wie im richtigen Leben

■ Jörn Laakmanns gelungene Anthologie „Herzangel. Geschichten über die Liebe“

Laakmanns im Gessler Verlag Friedrichshafen herausgegebene zwanzig Herzangel-Geschichten sind das glückliche Beispiel einer gelungenen Anthologie, die bis auf zwei Schwachstellen (Wilhelm von Scholzens Liebe im Traum und Emanuel von Bodmans Jakob Schläpfle) mit Genuß zu lesen ist. Eine überaus glückliche Hand bewies der Herausgeber sowohl bei der Auswahl der Texte als auch bei der Sezierung der Herzgeschichten aus dem jeweiligen Textcorpus: eine geglückte Operation, Laakmann sei's gedankt.

Keine Liebesgeschichten mit Happy-End erzählen die zwanzig ausgewählten Autorinnen und Autoren, die allesamt in der Bodenseeregion gelebt und geliebt haben (und dies mehrheitlich noch heute tun), wobei hier der Begriff „Seeregion“ etwas weit gefaßt wurde (nämlich inklusive Appenzell und Rapperswil) und die Geschichten selbst sich keineswegs nur auf unsere Region beziehen. Es handelt sich vielmehr um Geschichten, lauter Lieben wie im richtigen Leben, zu denen Menschen in ihrem Lieben und Leiden in, vielleicht auch an der Seeregion inspiriert worden sind, einer Region in „romantischer Landschaft, die zur Versöhnung neigt“ (so der Essener, heute in Kreuzlingen lebende Laakmann in seinem Vorwort).

Versöhnlich jedoch geht es in den Herzgeschichten kaum zu, nicht in Hermann Kinders Episode aus dem Schleiftrog, wo der etwas verklemmte pubertierende Bruno einer frühreifen Karin vieles bieten muß, aber nicht kann, und nicht in Angelika Starks Franziska, die, haßerfüllt, eine Enttäuschung den nächsten büßen lassen will. Markus Werners Zündel kommt ebenso wenig an seine frauengruppengeprägte Magda heran wie Michael Köhlmeiers Herumtreiber und Gelegenheitsarbeiter Owald an die vemeintliche Witwe Rosina. Robert Walsers Ehepaar kann erst nach dem gescheiterten Versuch einer Dreier-Beziehung wieder in Frieden miteinander leben, und Jochen Kelters Rosanna und Defranger leiden unter ihrem Bahnhofs-Verhältnis: dem ständigen Aufbruch und Fortgehen und Nie-ankommen-Können.

Ganz und gar nicht versöhnlich auch Gerold Späths Getrennte Schlafzimmer, von denen das des Ehemanns diesem einen Blick schräg nach unten auf das Bett seiner Frau zuläßt. An ihrer aus der Distanz geschauten Nacktheit erbaut sich der in seiner Liebe erschlaffte Ehemann, nicht jedoch um die eigene Frau zu lieben, sondern die „herbeigezupften Gesichte“, seine Vorstellungen von Fleischlichkeit also, während er die nacktschlafende Ehefrau Lisa für eine „fette schnaufende alte Sau“ hält.

In Urs Widmers Appenzell hingegen sind sowohl Bauer als auch Bäuerin gleichermaßen Betrüger und Betrogene: Der betrügerische Bauer verabredet brieflich Rendezvous mit auswärts wohnenden Mägden, während seine Bäuerin ihn mit dem Postboten betrügt, der beiden schöne Geschichten über die Liebe erzählt, die er wiederum gratis aus den von ihm beförderten Liebesbriefen bezieht.

Lieben als ein Suchen und Nichtfinden von etwas, das man besitzt, aber als Besitz nicht registriert: In Helen Meiers Unterschied erörtern deshalb Er und Sie die Vorteile des Sich-Nichtliebens, um sich dadurch ein ungestörtes Weiterbestehen des Paradiesgartens zu bewahren. Und der Erzähler Hermann Burger läßt seinen erfundenen Ehemann, ein Glückwunschtelegramm zu dessen Hochzeit zitierend („Denn das Glück, geliebt zu werden, ist das höchste Glück auf Erden“), das Verhältnis von Glück und Liebe diskutieren: So viel Glück auf einmal könne ja kein Mensch ertragen, denn „was macht eigentlich Hans im Glück mit seinem Glück? Er hatte keine Ruhe, bis er es los war ...“

Liebe ist, gemäß dem Tenor der ausgewählten Herzangelgeschichten, ein Unglück, denn sie ist erfahrbar nur als Leid, kann daher nur erlitten werden. Insofern ist sie ein notwendiger und durch nichts zu beschönigender Bestandteil des Lebens. Glückliches Lieben ( Leiden) ist Leben, ein Leben, „das keine Geschichten macht“.

Josef Hoben

Jörn Laakmann (Hrsg.): Herzangel. Geschichten über die Liebe. Verlag Robert Gessler, Friedrichshafen, 1988, 160 Seiten, 28 DM