: Öffentlich-rechtliche Ängste
■ Ein Gespräch mit Dieter Hildebrandt über private und öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, natürlich über Kabarett, Alibifunktionen und Leitartikel
taz: Sie haben früher mal die ARD und das ZDF als die „Anstalten der öffentlich-rechtlichen Angst“ charakterisiert. Wer sind die Angsthasen und wovor haben sie Angst?
Dieter Hildebrandt: Die Angsthasen sind die Leute, die immer noch nicht wissen, welchen Auftrag sie in diesen Anstalten haben. Es sind also Leute, die vielleicht zu spät in diese Häuser gekommen sind und die von denen, die dort ihre leitenden Aufgaben wahrgenommen haben, natürlich aus gutem Grunde nicht erfahren haben, welche Rechte sie haben. Das heißt, sie haben schon gewußt, sie haben Rechte, kreativ zu sein, sie haben Rechte, auch Vorschläge zu machen, die unbequem sind. Aber sie wissen nicht, daß es die Pflicht ihrer Vorgesetzten ist, diese Unannehmlichkeiten, die die kreativen Untertanen fabrizieren, auszutragen; das heißt, auch die Unannehmlichkeiten mit dem großen Publikum durchzustehen. Und das wissen sehr viele nicht, und das ist ein Mißverständnis, und darum traut sich von unten keiner, und deshalb haben sie unberechtigterweise sehr viel Angst.
Was hat sich für die öffentlich-rechtlichen Anstalten durch das Aufkommen der privaten Stationen geändert?
Die Öffentlich-Rechtlichen, die immer sehr hochmütig waren und glaubten, ihnen könne überhaupt nichts passieren, haben plötzlich Angst, daß ihnen der Rang abgelaufen wird. Ihre Einschaltquoten sinken und die von SAT 1 und RTL plus steigen. Diese haben die besseren Verhandlungsleute, die frischeren und ausgeruhteren, die den Öffentlich-Rechtlichen die Bundesligaspiele, bald auch die Eishockeyspiele abkaufen. Und eines Tages werden sie ihnen vermutlich die guten Unterhalter abkaufen. Wenn Thomas Gottschalk für McDonald arbeitet, dann kann er für viel Geld auch für die privaten Medien arbeiten.
Wie frei sind Sie denn mit Ihrer „Scheibenwischer„ -Sendung?
Das ist ja das Erstaunliche: Wir sind tatsächlich frei. Natürlich wird uns das von linken Leuten als Alibifunktion ausgelegt. Wir haben auch eine Alibifunktion, weil wir im Grunde genommen ein Fossil in der ganzen Medienlandschaft sind. Durch Geschick und Taktik haben wir es geschafft, im Spiel zu bleiben. An entscheidenden Punkten haben wir keine Blödheiten begangen, in die sie uns reinrennen lassen wollten.
Darf - frei nach Tucholsky - Kabarett alles, oder gibt es für Sie Themen, die tabu sind?
Kabarett darf alles, nur eines nicht: langweilig sein. Alles, was die Leute denken, darf auf den Tisch kommen - das meinte Tucholsky auch so. Es darf auch ausgesprochen werden, daß wir noch rettungslose Nazis in unserem Volke haben, Antisemiten haben, und irgendwann muß auch dieses Thema auf den Tisch. Natürlich kommen dann sofort Leute und sagen: „Um Gottes willen, denkt an die Opfer!“ Es ist aber nur gut für die Opfer, wenn darüber gesprochen wird.
Der Berliner Verfassungsschutz hat Photographen und Journalisten, darunter die taz als Ganzes, zum Observationsobjekt gemacht. Ist diese medienpolitische Sumpfblüte und Innensenator Kewenig als Observator nicht ein gefundenes Fressen für Sie als Kabarettisten?
Es handelt sich ja um Dinge, die so geheim sind, also erfahren wir sie leider auch gar nicht. Wir können jetzt nur in den Nebel hineintappen, und das machen wir nicht gern. Aber wir würden uns gerne daraus ein paar Figuren erarbeiten, und das dann einmal als einen kleinen Kurzkrimi spielen. Aber dazu müßten wir erst mehr über Herrn Kewenig wissen. Herr Kewenig ist ja so blaß, daß er sich selbst im Spiegel verwechseln könnte. Deswegen haben wir auch keine Veranlassung, diese Figur zu einer komischen zu machen. (wie sieht ein Chamäleon aus, wenn es sich selbst im Spiegel betrachtet?, d.S-in)
Welche Wirkung können Sie mit dem „Scheibenwischer“ inmitten der mainstream-Fernsehunterhaltung überhaupt erzielen?
Wir haben ja die vorgeschriebenen Unterhaltungsmomente nicht wahrgenommen. Wir spielen immer noch Kabarett, so wie es seit seiner Erfindung üblich ist, eigentlich seit 1902. Wir spielen immer noch Ernst von Wolzogen. Ich habe das Gefühl, daß das die wahre Literatur der Kleinkunst ist. Wenn ich das heutige Unterhaltungsgewerbe für gut hielte, müßte ich sehr alt geworden sein. Dann hätte ich Angst, daß ich den halben Meter von der Bühne nicht mehr runter käme.
Ist der „Scheibenwischer“ aber nicht vor allem eine Sendung für diejenigen, die ohnehin schon wissen, wo es politisch langgeht, um sich nur schenkelschlagend ihre Selbstbestätigung abzuholen?
Vor kurzem haben wir fast eine ganze Sendung über die Genetiker der Nazizeit gemacht. Wir haben von Zuschauern sehr viele Rückfragen erhalten: „Ist das so? Stimmt das so?“ Wir sind ja eine Mischung von Informationssendung und Auswertung von Information, also satirischer Sendung. Jederman glaubt, unsere Zielgruppe zu kennen. In Wirklichkeit schauen uns nämlich die Leute zu, die durchaus nicht ein Hochschulstudium abgeschlossen haben. Die anderen sind ja viel zu faul, um uns anzugucken. Die meisten von denen schreiben selbst und sind neidisch auf das, was wir schreiben, und sagen einfach: „Ich sehe kein Kabarett mehr, es ist doch immer dasselbe.“ Die scheinen dann aber nie hingeguckt zu haben.
Kommt durch einen guten Kalauer im Kabarett mehr rüber als durch drei lange Leitartikel?
So ist es. Sechs Jahre lang haben die Leitartikler geschrieben, was für ein Unsinn der Rhein-Main-Donau-Kanal ist. Dann haben wir hier eine dreiviertel Stunde gespielt mit Gerhard Polt und Gisela Schneeberger, und die ganze Bundesrepublik hat sich mit den Schlagzeilen ihrer Zeitungen dann darüber gestritten, ob wir recht haben oder nicht. Da sehen Sie mal, was Leitartikler doch für ein schweres Leben haben!
Das Gespräch führte Günter Ermlich
Scheibenwischer, 19.1., 21 Uhr 03, ARD
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